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Kiss Me Twice Page 4
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Page 4
Prescot
Der Palast der Königsfamilie von Nova Scotia war seit jeher im Besitz der Bloomsburys. Das aus hellem Sandstein errichtete Gebäude war mir so bekannt, dass ich praktisch jede Delle kannte, von denen ich als Dreijähriger selbst einige mit dem Laufrad hineingeschlagen hatte. Ich kannte jede Rüstung, in der sich bestimmt noch der ein oder andere Joint versteckte. Und ich wusste, dass der Kronleuchter im zweiten Stock ein billiges Replikat war, dessen Original … nun, auf unglückliche Art und Weise zu Bruch gegangen war, was schnellstens hatte vertuscht werden müssen. Trotzdem hatte sich der Palast nie wie ein wirkliches Zuhause angefühlt, ebenso wenig wie das Familienanwesen in Vancouver. Dafür hatte ich viel zu lange in England im Internat gelebt. Jahre meines Lebens, die mich jetzt noch verfolgten wie ein Albtraum, der damals stets von vorn losgegangen war, wenn ich nach den Sommerferien aus Nova Scotia oder Vancouver nach England zurückkehrte.
Nach zwölf Jahren Internatshölle hatte ich kurz die Hoffnung gehegt, ein echtes Leben beginnen zu können. Eines, das ich mochte. Ein Leben, in dem ich mich selbst mochte, mich an der Uni von Vancouver in Clubaktivitäten integrierte und in einem Wohnheim lebte. Doch dieses Leben war mir nur ein halbes Jahr vergönnt gewesen. Dann starb mein Großvater, und seitdem bestand mein Leben nur noch aus Pflichten und Zwängen, die mir folgten wie Schatten, sich langsam um meinen Hals legten und zudrückten.
Ich atmete tief durch und schüttelte das einsame Gefühl ab, bis heute keinen Ort gefunden zu haben, an den ich wirklich gehörte. Mein Zimmer im Palast lag im dritten Stock. Trotzdem machte ich einen großen Bogen um den uralten, fast schon antiken quietschenden Aufzug und joggte nach oben. Seit ich als Sechsjähriger in diesem Ding festgesteckt hatte … und seit dem Zwischenfall im Internat … Nun, ich ging sehr engen Räumen lieber aus dem Weg.
Im Treppenhaus begegneten mir gefühlt zehn porträtierte Generationen meiner Familie, die mir alle mit demselben Blick nachstarrten. Vor allem Urgroßonkel Fridolin sah aus, als wäre er schwer enttäuscht von mir.
»Schau mich nicht so an. Ich kann ja auch nichts dafür, dass unser Land politisch auseinanderbricht. Und nebenbei bemerkt hast du sicher Schlimmeres getan, als in der Öffentlichkeit blankzuziehen.«
Ja, zu Fridolins Zeiten musste hier so einiges anders gewesen sein. Der Goldabbau hatte floriert, die Leute schwammen in Reichtum. Mit Sicherheit machte Geld nicht glücklich, doch zumindest sorgte es innerhalb der Bevölkerung für eine gewisse Art von Stabilität. Und die schwankte heftig, seitdem Nova Scotia über Nacht nahezu mittellos geworden war. Weshalb Kanada schon vor Jahrzehnten unter der britischen Monarchie »großzügig« zur Unterstützung herangeeilt war – natürlich um den Preis eines gewissen Einflusses auf die politische Situation in Nova Scotia, den wir seit dem Tod meines Großvaters nun besonders deutlich zu spüren bekamen.
Durch die Unstimmigkeiten im Testament gab es keinen König, das Land befand sich im Zwist: Mein Vater wurde von der liberal eingestellten Bevölkerung unterstützt, mein Onkel von der konservativen. Wie stets bei Uneinigkeiten innerhalb des Königreichs hatte Kanada auf sein Mitspracherecht gepocht, und die Zukunft unseres Landes hing nun von der Entscheidung eines unabhängigen Parlaments ab, das darüber befinden musste, ob das Testament rechtsgültig war oder nicht. Zumindest war es in der Theorie so. Praktisch war meiner Meinung nach nur die Frage, wie viel Bestechungsgeld mein Onkel in die Hand nahm.
»Na, irgendwelche Tipps für uns, Fridolin?«, fragte ich, aber der starrte mich nur arrogant an. Seufzend ging ich weiter.
Ich schlug den Weg zu meinem Zimmer ein und sah die wuchtige Doppeltür am Ende eines dunklen Flurs, der mit einem potthässlichen grün-lila karierten Teppich ausgelegt war, den Nationalfarben von Nova Scotia. Auf dem Weg wählte ich rasch die Nummer meines Cousins. Es begann zu tuten, als ich gerade eine Ritterrüstung passierte, die das Wappen Nova Scotias in Händen hielt: zwei verschränkte Hände über einer Distel.
Es klickte in der Leitung. »Hey, hier ist Alex. Nerv mich nicht, außer es ist wichtig, aber dann sollte es superwichtig sein. Wenn du es bist, Mom: Ich hab zu tun, ich kann nicht kommen.«
Schnaubend wartete ich auf das Piepsgeräusch und knurrte: »Scheiße, Alex, wo bist du? Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen. Nein, eigentlich versuche ich es schon seit Wochen. Ich verstehe ja, dass du viel Stress mit der Uni hast, aber es wäre nett, zu hören, dass du nicht mit gebrochenem Genick im Graben liegst. Hör zu: Ich brauch echt deine Hilfe. Du hast mir doch von diesem Bodyguard erzählt, der mit dir auf die Uni geht, oder? Glaubst du, der könnte mir vielleicht helfen, einen Bodyguard für mich zu finden? Oder … ach, verdammt, das ist schwer zu erklären. Jetzt geh gefälligst ran oder ruf mich zurück, sonst ruf ich deine Mom an. Ach ja, hier ist dein Cousin Prescot.«
Ich legte auf, öffnete schwungvoll die Tür zu meinem Zimmer und kämpfte innerlich gegen das Gefühl an, wirklich paranoid zu sein. Doch ich vertraute den Bodyguards meines Onkels einfach nicht. Vielleicht hegte ich auch einfach nur eine krankhafte Abneigung gegen alles, was mit Onkel Oscar zu tun hatte. Doch ich hätte nun mal eher einen Besen gefressen, als zu glauben, dass die Bodyguards wirklich dazu instruiert waren, uns zu beschützen. Und wenn Oscar mich keinen Bodyguard einstellen ließ, dem ich vertraute, dann musste ich mir eben einen suchen, der undercover für mich arbeitete. Quasi einen heimlichen Bodyguard, der meinen offiziellen Bodyguard im Blick behielt. Einen Secret Bodyguard, sozusagen.
Ach du meine Güte, war mein Leben schräg!
Was für ein Tag. Ich wollte nur noch ins Bett fallen und …
»Hoheit!«, quiekte eine Stimme.
»Scheiße, Carla! Erschreck mich doch nicht so!«
Das Dienstmädchen und ich machten gleichzeitig einen Satz nach hinten, während Carla zusätzlich so heftig zusammenzuckte, dass ihr ein Stapel frisch gewaschener Hemden aus den Händen fiel, die sich raschelnd auf dem dunkelblauen Teppichboden verteilten.
»Was machst du hier?«, stieß ich hervor und presste mir die Hand auf die Brust, um den nahenden Herzinfarkt aufzuhalten. Penelope hatte recht, ich sollte aufhören, so viel Nutella zu essen.
Carla wurde rot im Gesicht, während sie stammelte: »Hoheit, es tut mir leid, ich habe nur gehört, dass … Ich dachte, Sie könnten vielleicht Hilfe beim Packen gebrauchen. Sie sind eine ganze Weile in Vancouver, und da dachte ich, ich könnte Ihnen schnell zur Hand gehen.«
Verlegen, dass das Personal offensichtlich so genau über mich Bescheid wusste, räusperte ich mich. »Das ist nett. Aber wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann hör mit deinem dauernden Hoheit auf. Erstens kennen wir uns dafür schon ein bisschen zu lange, und zweitens fühle ich mich so alt dabei.«
»Aber laut Protokoll sind Sie eine Ho…«
»… bin ich ein Prescot!«, erinnerte ich sie streng.
Sie wurde rot. »Mr Prescot«, stieß sie hervor, als würde sie Schmerzen dabei empfinden.
Ich lachte leise. »Damit kann ich leben. Wenn wir jetzt noch den Mister wegbekommen …«, sagte ich und half ihr währenddessen, die Hemden wieder zusammenzulegen.
Carla hatte sogar schon meine Koffer angeschleppt, die offen auf dem Bett lagen. So sorgfältig wie möglich faltete ich meine Hemden wieder zusammen und begann, sie in den Koffer zu stapeln.
»Sie müssen das nicht machen, Mr Prescot. Sie sehen müde aus. Legen Sie sich ruhig ein wenig hin«, flüsterte Carla, und ihre Wangen wurden noch röter, als ich sie anlächelte.
»Aber eigentlich sollte ich packen, Carla, nicht du. Vater möchte, dass wir solche Dinge noch selbst tun, und er hat recht. Wenn mich alle Dienstmädchen von vorn bis hinten verwöhnen, brauche ich irgendwann noch Hilfe beim Schuhezubinden.« Ich zwinkerte Carla zu, und sie lächelte.
»Ich helfe gern«, entschied sie und wuselte davon, nur um kurze Zeit später mit einem ganzen Armvoll teurer Anzüge wieder aufzutauchen.
Kurz war es still, während wir meine Sachen packten, wobei Carla definitiv besser darüber Bescheid zu wissen schien, was ich brauchte, als ich selbst. Ich hätte
wahrscheinlich sowohl die Unterhosen als auch meine Zahnbürste vergessen. Als wir beinahe fertig waren, musterte ich sie. »Carla, darf ich dich etwas fragen?«, hörte ich mich plötzlich sagen.
»N-natürlich, Mr Prescot«, hauchte sie, und unsere Finger berührten sich flüchtig, als ich ihr eine der Hosen abnahm und sorgfältig faltete.
»Das gesamte Personal hier wurde von meinem Onkel persönlich eingestellt, oder?«, tastete ich mich vorsichtig heran.
Sie warf mir einen verunsicherten Blick zu, ehe sie nickte. »Nach dem Tod Ihres Großvaters, ich meine, König Leopolds II., wurden viele Angestellte ausgetauscht. Nur alteingesessene Mitarbeiter, zu denen es ein Vertrauensverhältnis gab, durften bleiben. So wie meine Mutter und ich.«
»Das ist jetzt vielleicht eine seltsame Frage, aber muss das Personal meinem Onkel Bericht erstatten?«
Ich sah zu ihr auf und nahm wahr, wie sie sich auf die Unterlippe biss, während sie sich verstohlen umsah. »Ich …«
»Du musst es mir nicht sagen«, beschwichtigte ich schnell.
»Nein, es ist schon gut«, erwiderte Carla und atmete tief durch, ehe sie mich eindringlich ansah. »Ja, wir Angestellten müssen einmal die Woche Berichte abgeben. Manchmal werden uns auch Fragen gestellt, manchmal nicht. Die Bodyguards berichten sogar täglich«, flüsterte sie, und ich spürte, wie meine Schultern sich anspannten, obwohl mich die Bestätigung meines Verdachts innerlich beinahe entspannte. Die Bodyguards und die Angestellten bespitzelten uns also tatsächlich.
Ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, während ich Carla anlächelte. »Interessant. Danke für deine Ehrlichkeit.«
»Natürlich.« Sichtlich nervös stand sie auf und klopfte ihre Schürze ab. Warum auch immer. »Ihre Sachen sind gepackt, Mr Prescot. Ich werde Sie jetzt allein lassen. Eine Dusche täte Ihnen sicher gut«, murmelte sie mir zu und schien ein Grinsen zu unterdrücken, während ich es vermied, total unsexy unter meinen Achseln zu schnüffeln.
»Danke, Carla«, stieß ich hervor.
Sie schmunzelte und verschwand mit raschelndem Kleid aus meinem Zimmer, während ich ins Bad flüchtete.
Eine knappe Stunde später warf ich mich frisch rasiert in einem dunkelblauen Anzug in die cremefarbenen Ledersitze des Privatjets der königlichen Familie von Nova Scotia und schloss völlig fertig die Augen.
»Anschnallen, Scotty«, mahnte Penelope.
Ich brummte und bekam kaum mit, wie wir abhoben. Der Flug nach Vancouver würde knappe acht Stunden dauern. Also endlich Zeit, um meinen Kater auszuschlafen. Ich stopfte mir Ohrstöpsel in die Ohren und seufzte. Ruhe, Stille … endlich.
Seit dem ganzen Thronerbedurcheinander hatte ich viel zu wenig und wenn, dann nur unruhig geschlafen. Erneut merkte ich, wie sehr ich es vermisste, in der Stadt zu studieren. Normal zu sein. Oder zumindest beinahe so etwas wie normal. Nur weil man einen Adelstitel besaß, interessierte sich noch lange nicht die ganze Welt für einen. Erst seitdem mein Vater dank Grandpa als möglicher Thronfolger gehandelt wurde, schien sich plötzlich absolut jeder ein Urteil über uns zu bilden.
Ich merkte, wie ich wegzudämmern begann, als ich plötzlich ein seltsames Kitzeln auf dem Gesicht spürte. Seufzend öffnete ich ein Auge. Ein verdammt hässliches Knittergesicht mit Glupschaugen und einem pinken Krönchen auf dem Kopf starrte mich an.
»Verdammte Scheiße!« Vor Schreck fiel ich beinahe aus dem Sessel, während das Vieh mit den Glupschaugen erfreut mit dem Schwanz wedelte.
»Sir Henry, was stellst du denn schon wieder an?«, trällerte eine hohe Stimme, die ich nur gedämpft wahrnahm.
Der hässlichste Mops der Welt drehte sich hechelnd um sich selbst und machte ebenso gedämpft Örgs. Das Vieh bellte nicht, es machte Geräusche, als würde es röchelnd ersticken.
»Oh, Prescot. Bist du wach?«
Als ich mir die Ohrstöpsel aus den Ohren riss und den Blick hob, saß auf dem Platz, auf dem eigentlich Helena sitzen sollte, meine Cousine Evangeline und strahlte mich an. Das nachtschwarze Haar fiel ihr in dichten Locken um das herzförmige Gesicht. Ihre knallrot geschminkten Lippen, die sie wie Schneewittchen aussehen ließen, verzogen sich zu einem Lächeln.
»Evangeline«, seufzte ich und legte völlig fertig den Kopf nach hinten. »Sag mal, was machst du eigentlich hier? Hast du nicht Schule?« Ich blinzelte mir den Schlaf aus den Augen, während ich mich umsah.
Wo war eigentlich Helena, wenn man sie als Platzhalter brauchte? Ich sah ihre goldblonden Haare am Ende des Flugzeugs, wo sie mit der Stewardess flirtete, und verdrehte die Augen.
»Ich habe länger freibekommen. Dad und Mom haben zu Hause noch was zu erledigen. Ich wollte lieber mit euch fliegen«, behauptete Evangeline und klimperte mit den Wimpern.
»Und was willst du dann von mir?«, fragte ich seufzend, was mir einen niedlichen Schmollmund einbrachte.
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich was von dir will?«
Ich hob nur eine Augenbraue.
Evangeline gab den Schmollmund auf und grinste stattdessen. »Okay, hör zu. In Vancouver gibt es doch diesen Club. Er soll legendär sein, und in den nächsten Tagen legen dort die DJs 2g4u und PriceX auf. Ich sterbe, wenn ich nicht dort sein kann. Und da dachte ich mir, vielleicht könnten du und ich ja …«
»Nein«, sagte ich knapp und checkte mein Handy. Alex hatte bisher weder auf meine Anrufe noch auf meine SMS geantwortet. Ich überlegte, ob ich ihm auch noch per Instagram auf den Sack gehen sollte, als sich Evangelines Schmollmund vor das Display schob.
»Warum nicht?«
»Weil du vierzehn bist, Evangeline. Ich gehe nicht mit einer Minderjährigen in einen Club.«
»Warum nicht?«
Ich sah scharf auf. »Fragst du mich das nach gestern wirklich?«
Sie wirkte tatsächlich überrascht. Sir Henry machte Örgs und ließ einen fahren.
»Wieso nicht? Wir hatten doch Spaß!«
»Hast du die Schlagzeilen nicht gesehen, die uns dieser Spaß eingebrockt hat?«, fragte ich ungläubig.
Anstatt peinlich berührt zu sein, grinste Evangeline noch breiter und wackelte mit den Augenbrauen. »Oh doch, du bist überall das Topgespräch. Auf Royal-It wird derzeit dein Hintern bewertet. Keine Sorge, du hast eine glatte 8,5 abgestaubt, damit bist du nur einen Punkt hinter dem Prinzen von Schweden.« Sie tätschelte mir stolz den Bizeps.
»Auf Royal was?«, fragte ich irritiert, was Evangeline wieder kichern ließ.
Durch all das Make-up, das sie sich ins Gesicht geklatscht hatte, huschte endlich ein Ausdruck, der ihrem Alter entsprach. Prompt spürte ich, wie mein Gesichtsausdruck weicher wurde. Verdammt, Helena hatte recht. Ich war ein Weichei.
»Prescot, hörst du mir zu?«
»Nein«, sagte ich ehrlich und blinzelte meine Cousine an, die mit ihrem Handy vor meiner Nase herumwedelte. Sie rollte mit den Augen, und mein Blick wanderte in Richtung Display.
»Royal-It – Society, Fashion, Beauty und die besten Royal News«, las ich laut vor. »Ach du Schei… Was ist das?«, fragte ich und begann mich durch die Bilder zu scrollen.
Wieder verdrehte Evangeline die Augen. »Wo lebst du denn? Royal-It ist die beliebteste App für alles, was mit uns zu tun hat.«
»Uns?« Ratlos starrte ich sie an.
Sie machte eine Fächelbewegung, wie um eine Fliege zu vertreiben. »Na uns! Royals, Adlige.« Sie zuckte mit den Schultern. Als ich sie nur weiter anstarrte, seufzte sie. »Das ist wie eine Internetzeitschrift. Du kannst Beiträge liken, kommentieren, Fanseiten aufbauen oder Umfragen starten. Jeder Royal, der gesellschaftlich nicht am Arsch sein will, hat sein eigenes Royal-It-Profil. Ich habe schon über vier Millionen Follower.« Sie grinste stolz und warf sich das dunkle Haar über die Schulter.
Ich starrte sie irritiert an, dann wieder auf das Handy, scrollte und sah … verflixt! … mich selbst. Dutzende Male. In verschiedenen Posen. Manche Bilder waren von gestern, manche zeigten, wie ich ziemlich genervt bei den Polospielen schummelte. Auf einem anderen stieg ich gerade in mein Cabri
o.
»Aber ich habe gar keinen Account«, warf ich ein, was mir einen mitleidigen Blick von Evangeline einbrachte.
»Soll ich dir einen erstellen?«, fragte sie, als wäre ich ein seniler alter Mann.
»Nein … ja … nein! Wie konnte mir das bisher nur entgehen?«
Fassungslos scrollte ich weiter. Es gab eine Fanseite über mich. Gepostet wurden die Bilder von einer Userin, die sich »Aphrodite« nannte. Die Bilder zeigten mich in jeder erdenklichen Pose. »Das ist ja Stalking«, murmelte ich leicht betreten und klickte schnell ein Bild weg, auf dem ich auf einem Gartenfest heimlich meine Austern an Sir Henry verfütterte.
Seufzend nahm mir Evangeline das Handy wieder ab. »Manchmal bist du so ein Anfänger, was diese Royal-Dinge betrifft. Es ist fast schon peinlich«, seufzte sie und begann sich durch die App zu klicken. »Die Seite hier ist zum Beispiel absolut crazy geiler Shit! Das ist die von William.«
Sie hielt mir das Handy unter die Nase, und ich verzog das Gesicht. Prinz William St. Edwards. Seine Familie regierte über Prince Edward Island, eine der beiden monarchischen Nachbarinseln von Nova Scotia. Noch kleiner, noch exklusiver und meiner Meinung nach noch arroganter.
William und ich waren gemeinsam zur Schule gegangen, so wie Evangeline nun mit seiner Schwester. Wir versuchten, uns so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Trotzdem sah ich ihn viel zu oft, und wenn es in meinen Albträumen war. Meine Finger verkrampften sich kurz, dann riss mich Evangeline aus meinen Grübeleien.
»Also, William macht Werbung für Lamborghini. Seitdem sind seine Posts nie unter fünf Millionen Likes. Prince Edward Island ist derzeit top-in! Den Joseph von Liechtenstein kennst du auch, oder?« Noch ehe ich nicken konnte, plapperte sie weiter. »Wenn du mich fragst, ist er ein Langweiler, aber siehst du seine neue Jacht? Meinst du, mein Dad kauft mir auch so eine?« Ich öffnete den Mund, doch sie scrollte bereits weiter. »Ach ja, und da ist dieser Kerl. Niedriger Adel, aber er ist eine Legende auf Royal-It. Er hat mich auf die Gästeliste setzen lassen, in dem Club, von dem ich dir gerade erzählt habe. Es gibt nur ein kleines Problem … Er denkt, ich bin schon achtzehn. Und darum dachte ich, du könntest mich vielleicht mitnehm…«