Kiss Me Twice Read online

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  »Nicht du, sondern ich muss mich bei dir entschuldigen. Du musst einen fürchterlichen ersten Eindruck von uns bekommen haben, Silver.« Er lächelte, und das Bedauern in seinen Augen wurde größer.

  Irritiert blinzelte ich ihn an. »Ich … was … nein, Sir, bitte, ich …«

  »Nenn mich einfach Phillip. Und bitte setz dich, Silver. Ich möchte den grauenhaften Eindruck, den mein Bruder hinterlassen hat, ein wenig wiedergutmachen und dich kennenlernen. Du bist das erste Mädchen, das Prescot mit nach Hause bringt. Du musst ihm viel bedeuten. Auch wenn die Umstände nicht die einfachsten sind, aber das sind sie bei uns wohl nie.«

  Er lachte, als hätte er ein Insiderwitz gerissen. Auch Prescot grinste. Er wirkte auf einmal so tiefenentspannt, dass ich ihm am liebsten auf die Nase geboxt hätte, nur um ein wenig von meiner Anspannung loszuwerden.

  »Okay …«, sagte ich vorsichtig und ließ mich viel zu steif auf dem Sofa nieder, so weit weg von Prescot wie möglich.

  Doch er zog einfach nur eine Augenbraue hoch und rutschte zu mir. Ich sah ihn strafend an, aber er nahm ungerührt meine Hand und drückte sie.

  »Also …«, seufzte sein Vater und setzte sich ebenfalls wieder. »Ich muss sagen, ihr hättet euch für eure Romanze wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Aber ich werde den Teufel tun und meinem Bruder recht geben.«

  Sofort versteifte ich mich wieder. So sehr, dass ich kurz davor war, wie ein Brett vom Sofa zu kippen.

  »Es liegt mir fern, euch eine Beziehung zu verbieten. Die Frage ist nur, warum du mir das alles verschwiegen hast, Prescot. Silver ist zauberhaft, und wir hätten Vorkehrungen treffen können, um dieses Desaster hier zu vermeiden.« Streng starrte er seinen Sohn an.

  Prescot sah ehrlich zerknirscht aus. »Es war Silvers Entscheidung, nicht meine. Ich wollte sie vom ersten Augenblick an«, sagte er und musterte mich voller Wärme.

  Mein Herz setzte kurz aus, bis ich mich wieder daran erinnerte, dass wir schauspielerten. Mehr oder weniger. Wir waren gerade dabei, eine Beziehung zu faken, und das fiel mir bereits jetzt sehr schwer.

  »Seit wann kennt ihr euch eigentlich?«, fragte sein Vater weiter.

  Ratlos sah ich zu Prescot hinüber, doch der lächelte nur.

  »Ich habe doch letztes Jahr Cousin Alex in Miami besucht. Dort haben wir uns kennengelernt und seitdem Kontakt gehalten, bis Silver endlich Urlaub bekommen hat und nach Kanada reisen konnte. Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe. Wir wollten das Ganze auch erst nach der Wahl offiziell machen, aber die Paparazzi waren schneller.«

  Prescot seufzte deprimiert. Scheiße, konnte der gut lügen. Ich kaufte ihm die Geschichte beinahe selbst ab.

  »Oh, du kennst Alex?«, fragte mich sein Vater erstaunt.

  Hastig setzte ich mein Pokerface auf. »Nicht wirklich, Sir. Ich habe auf einer seiner … Partys gearbeitet«, improvisierte ich.

  Wenn dieser Alex zur High Society gehörte, konnte das sogar der Wahrheit entsprechen. Im letzten Jahr unserer Ausbildung hatten Ryan und ich ein paar Rausschmeißerjobs angenommen. Die meisten auf Partys, wie letztes Jahr zu dieser Weihnachtsfeier. Scheiße, war die damals eskaliert. Ryan hatte sich einen Bart angeklebt und … Nein, halt, ich schweifte ab!

  Phillip nickte jedoch nur. Er schien uns tatsächlich zu glauben. »Also …«, seufzte er und sah uns an. »Wir sollten vielleicht besprechen, wie wir in den kommenden Tagen und Wochen am besten mit dieser Situation umgehen. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass es nicht ganz einfach wird.«

  »Das haben wir uns bereits überlegt«, warf Prescot aalglatt ein.

  Ach, hatten wir das?

  »Derzeit wohnt Silver noch bei Freunden, doch nach aktueller Lage müssten wir ihr andauernd ein Team aus Securitys zur Seite stellen, damit sie überhaupt aus dem Haus gelangt. Das Ganze wäre nicht nur umständlich, sondern auch unangenehm, weil wir uns nur noch wenig sehen könnten. Ich dachte mir also, es wäre eine gute Möglichkeit, sie einfach bei uns unterzubringen. Zumindest so lange, bis sich die Situation etwas beruhigt hat.«

  Und es würde mir den Job erleichtern, auf Prescot aufzupassen. Schlau, schlau! Gespannt sah ich zu seinem Vater hinüber, der genau zu überlegen schien und dabei immer wieder an seiner Brille nestelte.

  »Ja, das klingt in der Tat nach einer guten Idee. Die Frage ist nur: Willst du das denn auch, Silver?«, fragte er mich schließlich langsam.

  Erstaunt blinzelte ich ihn an. »Ich will keine Umstände machen, Sir. Ich brauche keinen Geleitschutz. Aber natürlich freue ich mich auch, so viel Zeit wie möglich mit Prescot verbringen zu können.«

  »Nun gut.« Sein Vater nahm die Brille ab und putzte einen kleinen Fleck weg. »Tatsächlich ist es einfacher, wenn wir dich für die nächsten Tage bei uns unterbringen. Es sind viele Zimmer frei. Such dir eines aus. Aber tut mir einen Gefallen.« Streng sah er uns an. »Keine Skandale mehr! Silver soll sich außerdem überlegen, ob sie heute auf dem Ball zugegen sein möchte oder nicht.«

  Alarmiert sah ich auf und starrte Prescot an. »Ball? Welcher Ball?«

  Prescot warf mir ein Lächeln zu. »Es gibt einen Ball zu Ehren der Unabhängigkeit von Nova Scotia, der heute Abend hier im Stadtpalais in Vancouver stattfindet. Wie Dad meint, darfst du selbst entscheiden, ob du mich begleiten möchtest. Es würde mich jedoch …« Er zögerte und lächelte schief. »Es würde mich beruhigen, wenn du da wärst.«

  Was er nicht sagte, war, dass ich mehr oder weniger als sein Bodyguard dabei sein sollte. Dafür war ich ja schließlich hier: um ihn auf solche Veranstaltungen zu begleiten, um ein Auge auf ihn zu haben. Mein Pflichtgefühl rang sofort mit der Unruhe darüber, in eine Situation geworfen zu werden, auf die ich mich nicht ausreichend vorbereitet fühlte.

  Ich seufzte. »Ich komme mit, auch wenn es mir lieber wäre, wenn ich eine Ahnung von der Etikette hätte. Bringst du mir vorher bitte wenigstens das Nötigste bei?«

  »Das ist vollkommen in Ordnung«, beruhigte mich Prescot. »Nur …« Er zögerte. »Kennst du den Scotia Doodle?«

  »Nein. Ist das ansteckend?«, fragte ich alarmiert.

  Der Prinz grinste. »Es ist ein traditioneller Tanz. Er ist aber nicht schwer. Wenn du möchtest, zeige ich dir noch eben die Schritte.«

  Um. Gottes. Willen.

  »Und ich habe ja auch gar kein Kleid!«

  Phillip lachte und stand langsam auf. »Keine Sorge. Ein Kleid wird am einfachsten aufzutreiben sein.«

  »Aber Sir, sind Sie sicher, dass ich einfach so mitkommen soll? Ich will nicht für noch mehr Ärger innerhalb Ihrer Familie sorgen.«

  Beide Männer sahen mich verwundert an. Schließlich war es Phillip, der mich warm anlächelte. »Du bist nun Teil der Bloomsbury-Familie, Silver. Zudem sind wir Bloomsbury-Männer auf solchen Veranstaltungen praktisch groß geworden und äußerst geschickt darin, unsere Begleiterinnen glänzen zu lassen. Du wirst uns nicht blamieren, das wird Prescot nicht zulassen. Also, wenn es sonst nichts weiter gibt, würde ich vorschlagen, dass ihr Silver ein Zimmer aussucht und es von Carla herrichten lasst. Wir sehen uns dann heute Abend.«

  Prescot

  Silver war hier! In meinem Zimmer! Auf meinem Bett! Ich wäre vor Aufregung wahrscheinlich nicht mal in der Lage gewesen, gerade zu stehen, wenn sie nicht so wahnsinnig wütend gewirkt hätte. Dabei sah sie zwar irgendwie heiß aus, und zu zwanzig Prozent machte mich das an, aber zu den restlichen achtzig Prozent war ich ziemlich eingeschüchtert.

  »Ich tanze nicht! Ich gehe nicht auf diesen Ball.«

  »Du musst aber«, konterte ich und warf mich unter ihren giftigen Blicken neben sie aufs Bett.

  »Muss ich nicht!«

  »Doch. Du arbeitest für mich, schon vergessen? Du musst mit und auf mich aufpassen.«

  Ich grinste sie an, und sie sah aus, als würde sie mich gleich erwürgen.

  »Na schön«, knurrte sie. »Ich komme mit. Aber für jeden Ball will ich tausend Mäuse extra. US-Dollar! Komm mir gar nicht erst mit dem Monopoly-Geld, das ihr hier in Kanada habt.«

>   »Geht klar«, erwiderte ich lachend, als es an der Tür klopfte.

  »Wer ist das?«, fragte Silver sofort alarmiert und sprang geschmeidig auf die Füße, noch ehe ich die Tür aufmachen konnte.

  »Ruhig, Kätzchen. Nur dein Kleid.«

  Die Tür knarrte unheilschwanger, als Helena breit grinsend in den Raum kam. Über ihrem Arm hingen gefühlt zwei Dutzend Kleidersäcke. »Ich hab gehört, Silver bleibt und braucht ein Kleid?«

  »Ja!«, sagte ich begeistert, während Silver Nein! brüllte.

  »Wie harmonisch bei euch«, flötete Helena und tänzelte in den Raum. »Bitte schön. Ich habe alles rausgesucht, was potenziell passen könnte«, sagte sie, warf den riesigen Kleiderhaufen auf mein Bett und begann die Zipper aufzuziehen. »Da Silver ein wenig größer und muskulöser ist, habe ich Sachen gesucht, die mir eher zu groß sind. Es wird eventuell etwas eng, aber wir sollten was finden«, behauptete sie und hielt ein goldenes Kleid mit bauschigen Rüschen und Schleifen hoch.

  Silver starrte es sichtlich entsetzt an. »Das ziehe ich nicht an. Niemals!«

  »Jaaa … du hast recht, zu altbacken«, stimmte Helena ihr zu und warf sich das Kleid achtlos über die Schulter.

  »Wie wäre es mit …«, begann ich, als die Tür erneut aufging.

  »Prescot, hast du zufällig Sir Henrys Krönchen gese…«, setzte eine Stimme an und verstummte abrupt.

  Evangeline stand in der Tür. Sie wurde blass, während ihr Blick auf Silver lag, als würden unangenehme Erinnerungen in ihr hochkommen.

  »Was ist los, Eve?«, fragte ich ein wenig unterkühlt.

  Wir hatten uns seit dem Vorfall im Club nur einmal kurz zum Frühstück gesehen. Dort hatte sie zwar eine verkaterte Entschuldigung gemurmelt, doch ich hatte nicht vor, die Sache so schnell auf sich beruhen zu lassen. Obwohl … wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Silver jetzt womöglich nicht in meinem Zimmer gestanden.

  »Ich wollte nur …«, piepste Eve, ehe sie sich räusperte, das Kinn reckte und in selbstbewussterem Ton weiterredete. »Nicht so wichtig. Du bist doch das grobe Mädchen von gestern Abend. Was machst du hier?«

  Silver zog nur lässig eine Augenbraue hoch. »Ich wohne hier für eine Weile. Und du bist dann wohl die Kotztüte von gestern Abend. Nüchtern hätte ich dich fast nicht erkannt. Steht dir aber besser.«

  Eve presste die Lippen zusammen, während Sir Henry örgsend in den Raum getrippelt kam. Sein Schwänzchen wackelte erfreut, als er Silver sah.

  »Was macht ihr da?«, wechselte Eve sehr abrupt das Thema.

  »Nichts«, sagten wir alle einstimmig.

  »Probiert ihr Kleider an? Für sie?« Eve rümpfte die Nase.

  »Sie hat auch einen Namen. Und zwar einen sehr schönen. Und der lautet Silver«, korrigierte ich Eve streng. »Und ja, wir suchen ein Kleid, du kannst also …«

  »Das ist nicht ihre Farbe«, fuhr mir Eve dazwischen und schob Helena zur Seite. »Das auch nicht. Damit sieht sie aus wie eine Leiche in Pink. Hast du nichts Blaues oder Rotes? Das hier sollte gut aussehen«, entschied sie und hielt ein bodenlanges blaues Kleid hoch, das wie Fischschuppen funkelte.

  Helena musterte es kritisch. »Ich glaube, es ist zu eng.«

  »Ach was, mit einem Korsett können wir sie schon reinquetschen.«

  »Nein! Ich trage kein Korsett«, blaffte Silver, wurde jedoch einfach ignoriert. Sie sah mit jeder Sekunde fassungsloser aus, und ich konnte mir das Lachen immer weniger verkneifen. Vielleicht hätte ich sie vorwarnen sollen, was noch alles auf sie zukommen würde.

  »Und das hier?«, fragte Eve und hielt ein mattsilbernes Kleid hoch.

  »Zu kurz für den Ball. Aber die Farbe ist toll«, murmelte Helena.

  Die Frauen wühlten weiter herum, während Silver ihnen panisch ein Kleid nach dem anderen aus den Fingern zog und drohte, sich eher höchstpersönlich mit den Rüschen zu erdrosseln, als irgendwas davon anzuziehen.

  »Und was ist damit?«, fragte Eve und zog ein weiteres Kleid hervor. Es war bodenlang, schlicht und silbern. Hochgeschlossen, mit leichter Spitze an den langen Ärmeln, breitete es sich hinten mit einer leichten Schleppe aus. Es funkelte, als hätte jemand Millionen Sternensplitter auf den Stoff genäht. Am linken Bein war es geschlitzt und der Rücken völlig frei. Die Mädchen legten den Kopf schief.

  »Probier’s mal an«, entschied Helena schließlich.

  Silver seufzte geschlagen, schnappte sich den Fummel und verschwand damit im Badezimmer.

  »Sooo, ihr zwei also …«, setzte Helena sofort grinsend an und warf sich neben mich auf das Bett.

  »Jaaa, wir zwei also …«, antwortete ich nur.

  Ihre Augen blitzten spöttisch. »Ja, ja, tu nur so. Sie ist ja echt sympathisch, aber irgendwas ist an der Geschichte doch faul. Du musst gar nichts sagen. Ich finde schon noch raus, was hier los ist.«

  »Tu das«, erwiderte ich stoisch und wurde unterbrochen, als die Badezimmertür wieder aufging und Silver hereinkam.

  Ich glaube, mir blieb bei dem Anblick das Herz stehen. Bisher hatte ich sie nur in Hosen und Shirt gesehen, aber das hier war … es war … Das Kleid war eng und schmiegte sich an jede ihrer Kurven, und es glänzte wie eine Rüstung. Der Schlitz zeigte ihr schlankes Bein und damit auch die Tattoos, die sich über die helle Haut schlängelten.

  »Ist okay«, kommentierte Eve gelangweilt.

  »Okay?«, entfuhr es mir. »Sie sieht aus wie eine Kriegsgöttin! Zieh das sofort aus. Wenn dich jemand so sieht, sorgen wir für den katastrophalsten Auffahrunfall aller Zeiten«, platzte es aus mir hervor. Die Woge aus irrationaler Eifersucht auf alles und jeden, der sie so sehen könnte, raubte mir beinahe den Atem.

  »Wirklich?«, fragte Silver und wirkte zum ersten Mal, seit ich sie kannte, verunsichert.

  Helena stieß mir ihren Ellenbogen schmerzhaft in die Seite. »Hör einfach nicht auf ihn. Du siehst echt toll aus. Leider kannst du keine Unterhose tragen, denn die sieht man bei dem dünnen Stoff.«

  Ich wusste nicht, wer röter wurde, Silver oder ich.

  »Ich muss nackt gehen?«, fragte sie entsetzt.

  »Das geht nicht«, setzte ich nach. »Da könnte ich mich nie konzen… ich meine, da könnten andere … ich meine …« Ich kapitulierte und hielt einfach die Klappe, als ich den Blick der Mädchen sah.

  »Keine Sorge. Es gibt zur Not auch für solche Kleider Slips. Ich hol dir welche«, tröstete Helena sie warm.

  »Aber …«, warf Eve ein, »… was machen wir mit den Schuhen?«

  Unser aller Blicke wanderten nach unten, wo Silver immer noch Socken trug.

  »Haben wir so große High Heels? Welche Größe hast du?«, bohrte Eve nach.

  Silver wurde noch ein wenig röter. Wenn ich bisher gedacht hatte, ihre giftigen Blicke seien entzückend, dann nur, weil ich das hier noch nicht gesehen hatte. Beinahe wünschte ich mir auch, es nicht getan zu haben, denn die sanfte Röte in ihren Wangen, das Glänzen in ihren Augen und das Knabbern an ihrer Unterlippe brachten mich förmlich um. Was musste ich tun, um diesen Blick noch einmal zu sehen? Und noch einmal … und noch einmal … und …

  »Zweiundvierzig«, murmelte sie.

  »Das ist … groß«, sagte Helena.

  »Big Foot«, kicherte Eve und kassierte dafür böse Blicke von uns allen.

  Silver räusperte sich und straffte die Schultern. »Schon gut, ich trage meine Chucks. Ich hab eh keine Lust auf High Heels. Ich kann darin nicht gehen«, entschied sie knurrend, zog die Strümpfe aus und schlüpfte in ihre schwarzen Converse. Es sah tatsächlich nicht schlecht aus, aber …

  »Hm … warte mal«, sagte Helena und zückte ihr Handy. Sie tippte darauf herum, dann grinste sie. »Wie lang haben wir noch bis zum Ball?«, fragte sie niemand Bestimmten.

  »Zwei Stunden«, antwortete ich ihr und schielte selbst auf die Uhr.

  Sehr knapp, um Silver noch alles beizubringen. Eigentlich unmöglich. Vielleicht hatte Dad recht. Das Timing mit dieser Fake-Beziehung war schlecht. Aber die Beziehung selbst war es nicht. Ich lächelte
still und leise in mich hinein.

  »Perfekt! Bin gleich wieder da. Wartet hier auf mich«, sagte Helena und rauschte wie von der Tarantel gestochen los.

  »Warte, ich komm mit. Ich muss Sir Henry noch das Tutu für den Ball anziehen«, sagte Eve und warf mir einen Blick zu, der wahrscheinlich arrogant wirken sollte, aber nur bockig rüberkam. »Ich bin eigentlich wegen was ganz anderem gekommen. Aber wir reden einfach später«, sagte sie zu mir, als hätte ich eine Ahnung, was sie damit meinte.

  Ich verdrehte nur die Augen, während meine Zimmertür hinter den beiden zufiel. Verdammt, konnte Familie eigentlich auch mal nicht anstrengend sein?

  Seufzend schwang mich ich wieder auf die Füße. »Bereit?«, fragte ich und hielt Silver meinen Arm hin.

  Irritiert starrte sie darauf. »Wofür?«

  »Ich zeige dir den Ballsaal und bringe dir die Tanzschritte bei. Außer, du willst dich überraschen la…«

  »Los geht’s«, unterbrach sie mich erneut, hakte sich unter und zog mich aus dem Zimmer.

  Dezent übernahm ich wieder die Führung und lotste sie in den Westflügel hinab. Die Sonne ging gerade unter, und sobald wir den Saal mit der hohen gotischen Decke betraten, brach sich das warme Licht in den langen, schmalen Fenstern und ließ den Boden wie in Gold getaucht erscheinen. Die meisten Vorbereitungen waren bereits abgeschlossen, und alles funkelte, als wir daran vorbeigingen, inklusive der deplatziert wirkenden Ritterrüstungen und der langen Hellebarden und Streitäxte, die sich neben alten Jagdtrophäen meiner Vorfahren an der Wand drängten.

  »Wow!«, sagte Silver und blieb vor einem ausgestopften Bären stehen, der einen ganzen Lachs verschlang. »Also … unter Ballsaal habe ich mir was … Kitschigeres vorgestellt«, kommentierte sie und ließ den Blick zu einer spitzen Waffe wandern.

  Ich lachte leise. »Früher war hier alles dunkel vertäfelt. Der Großteil der Inneneinrichtung stammt aus der Zeit meines Vorfahren Sir William Alexander Bloomsbury, der Nova Scotia damals vom britischen König fürs Niederschlagen des Jakobitenaufstands erhielt. Obwohl die Geschichte unschön und blutig ist, feiern wir trotzdem jedes Jahr die Gründungsgeschichte unseres Landes. Erst um 1900 hat man hier auch Fenster einbauen lassen. Es könnte also schlimmer sein. Aber der Tanz, den wir nachher tanzen müssen, ist immer noch genauso grausam wie eh und je.« Ich sah sie entschuldigend an und zog sie in die Saalmitte.