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Kiss Me Twice Page 14


  »Beinahe.« Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. »Ist das ein Problem?«

  »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin nur neugierig, und so wie Scotty gerade guckt, hat es ihn ebenfalls brennend interessiert.«

  »Helena!«, fuhr der sie an, doch seiner Schwester machte einfach weiter.

  »Heißt du wirklich Silver?«, bohrte sie nach.

  »Nein, Daisy, aber wenn du mich so nennst, muss ich dir leider wehtun«, sagte ich ernst.

  »Hund oder Katze?«

  »Derzeit habe ich Mr Hyde.«

  »Also einen Hund?«

  »Einen Kaktus«, korrigierte ich sie.

  Helena nickte beeindruckt, lehnte sich zu ihrem Bruder hinüber und flüsterte übertrieben laut: »Deine neue Freundin hat ’nen Knall, aber ich mag sie. Du darfst sie behalten.«

  »Danke, Helena.« Prescot verdrehte die Augen, ehe er sich unter Räuspern die Krawatte richtete. »Wartet Onkel Oscar schon?«

  Helena knabberte auf ihrer Unterlippe herum und nickte. »Ja. Im blauen Büro.«

  Prescot versteifte sich. »Wollte Dad nicht auch dabei sein?«

  Hilflos zuckte sie mit den Schultern. »Soll ich ihn suchen?«

  Er nickte. »Tu das. Ich gehe mit Silver nach oben und versuche, die Situation zu ret…«

  »Prescot«, unterbrach ich ihn leise, aber bestimmt.

  Er verstummte und sah mich überrascht an.

  »Ich will mir selbst ein Bild machen, schon vergessen? Wenn dein Onkel mich sehen möchte, dann geh ich zu ihm hoch. Das ist kein Problem.«

  Prescot sah aus, als wäre es sehr wohl ein Problem. Dennoch nickte er. »Wenn du meinst. Ich hole trotzdem meinen Dad und bin sofort wieder da. Länger als fünf Minuten lasse ich dich mit diesem Irren nicht allein.«

  »Ich hab ein gutes Händchen für Irre«, gab ich trocken zurück.

  »Okay, wie du willst. Bringst du sie hoch, Helena?«, fragte er seine Schwester.

  Als die nickte, drückte Prescot flüchtig meine Hand, als müsste er sich selbst Mut machen, ehe er durch die wuchtige Tür verschwand, durch die Helena eben hereingekommen war.

  »Willst du deine Jacke ausziehen?«, fragte mich Helena höflich und deutete auf meine Lederjacke, die hier in diesem herrschaftlichen Ambiente zugegebenermaßen etwas schäbig wirkte.

  »Nein, danke«, winkte ich ab.

  Sie wirkte nicht beleidigt, sondern nickte nur, und wir setzten uns zusammen in Bewegung. Unsere Schritte hallten in der großen leeren Halle unangenehm laut wider. Warum um alles in der Welt brauchte man so eine große Eingangshalle? Eine überdimensionierte Garderobe, in der ich weder Schuhe noch Jacken sehen konnte? Nur leeren Raum und einen alten Kronlüster, der wie gefrorene Tränen von der Decke hing.

  Eine geschwungene Treppe zog sich durch den stillen Raum nach oben. Die Wände waren weiß und nur dezent mit Verzierungen ausgestattet. Große Fenster zeigten nach draußen in einen Rosengarten. Helena sagte nicht viel, und wenn, dann nur Belanglosigkeiten, was ich ihr hoch anrechnete. Trotzdem. Immer wieder erwischte ich sie dabei, wie zu mir herüberlinste. Ihre Mundwinkel zuckten, und doch tat sie nichts weiter, als mich ein Stockwerk höher zu bringen, wo sie vor einer großen Doppeltür stehen blieb.

  »Hier ist das Büro. Vergiss nicht, zu knicksen und erst zu sprechen, wenn er dich anspricht«, instruierte sie mich effizient und knapp.

  Ich nickte dankbar, holte tief Luft und klopfte. Ich erhielt keine Antwort. Stattdessen schwang die Tür wie von Zauberhand auf. Verwundert trat ich ein, bis ich das Dienstmädchen in dunkler Uniform bemerkte, das noch dazu knickste, als sich unsere Blicke kreuzten. Irritiert blieb ich stehen, ehe meine Konzentration von einem einfachen, aber unangenehmen Geräusch zurückgeholt wurde: dem Knarzen von Leder.

  »Miss Silver. Bitte treten Sie ein. Carla, sei so gütig und bringe uns einen Tee«, sagte eine tiefe Stimme, die durch den Raum grollte, als würden Steine aneinanderkrachen.

  Das … Stubenmädchen? … Dienstmädchen? … Diese Carla jedenfalls knickste erneut und verschwand wortlos hinter der Tür, die sie eben noch für mich geöffnet hatte.

  Ich unterdrückte den Drang, ihr zu folgen, vergaß dabei allerdings, ebenfalls zu knicksen. Was zum Teufel sollte ich jetzt tun? Er hatte mich ja bereits angesprochen, oder? Fuck! Ich entschied mich dafür, die Arme hinter dem Rücken zu verschränken und leicht den Kopf zu neigen.

  »Es ist mir eine Ehre, vorgeladen worden zu sein, Ihre … Eure Maj… Sir«, korrigierte ich mich.

  Mist, verdammter! Wie sprach man einen Fast-König an? Ich hatte keine Ahnung. Die Höflichkeitsformeln, die ich in der Ausbildung gelernt hatte, konnten zwar in keiner Situation falsch sein, auch wenn sie zu diesem speziellen Anlass bestimmt nicht korrekt waren. Doch drauf geschissen! Keiner hatte mich für so etwas trainiert. Aber wenn ich diesen Job annahm, musste ich mich in Zukunft besser vorbereiten. Also … falls! Nur falls ich diesen Job annahm.

  Kalte Augen musterten mich quer durch den Raum. Keiner von uns bewegte sich, keiner von uns sprach. Trotz allem stellte sich bei mir Härchen für Härchen auf. Ich spürte es, wenn ich mich mit einem Raubtier im selben Zimmer befand. Die Frage war nur: Spürte er es auch?

  »Kommen Sie näher, Miss Silver«, sagte Prescots Onkel schließlich und schaffte es, dabei gleichzeitig autoritär, väterlich und herablassend zu klingen.

  Ohne zu hasten oder zu zögern, durchquerte ich den Raum und blieb vor dem unbequem aussehenden Stuhl stehen.

  »Setzen Sie sich.«

  »Danke, Sir, ich stehe lieber«, sagte ich und erntete dafür einen scharfen Blick.

  »Ich sagte: Setzen Sie sich!«

  Die Muskeln an meinem Nacken versteiften sich. Trotzdem nickte ich und ließ mich auf den knarrenden Stuhl fallen. Es gab genau diesen einen. Es fühlte sich an wie bei einem polizeilichen Verhör.

  »Nun …«, sagte Prinz Oscar, während er die Ellenbogen auf seinem glänzenden Mahagonischreibtisch absetzte und die Fingerspitzen aneinanderlegte. Über das so gebildete Dach hinweg musterte er mich so scharf, dass es sich anfühlte, als würde er mich in Scheiben schneiden. »Ich glaube, Sie sind ein intelligentes Mädchen, sodass ich nicht lang um den heißen Brei herumreden muss, warum ich Sie heute zu mir gebeten habe.«

  Zu mir bestellt wie ein McDonald’s-Menü, hätte es wohl eher getroffen.

  »Ich habe in der Tat eine Vermutung. Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir ein wenig auf die Sprünge helfen«, sagte ich bedachtsam. Gelassen. Einem Raubtier durfte man nicht zeigen, dass man sich fürchtete. Sie konnten es riechen, wurden hungrig und bissen zu.

  »Sie sind hier«, sagte er, »weil Ihr Gesicht und das meines Neffen seit Stunden auf jedem Kanal und in jeder Klatschpresse in ganz Kanada zu sehen sind. In einer … nennen wir es mal kompromittierenden Situation. Und ich möchte hier und jetzt wissen, in welcher Beziehung Sie zu meinem Neffen stehen.«

  »Das sollten Sie vielleicht besser Ihren Neffen fragen.«

  »Das habe ich bereits. Er behauptet, Sie nur flüchtig zu kennen.«

  »Dann sollten Sie ihm das glauben.«

  »Das würde ich, wenn ich nicht auch diese Bilder hier erhalten hätte«, sagte er, griff neben sich und warf mir drei Fotos auf den Schreibtisch.

  Das eine kannte ich bereits. Es zeigte unseren Kuss im Taxi. Das nächste jedoch … verdutzt blickte ich auf Prescot und mich, wie wir zusammen im Kiss Me Twice auf dem Boden lagen. Ich wusste, es war die Situation, in der er mich über den Haufen gerannt hatte, aber auf dem Bild sah es beinahe so aus, als würden wir in aller Öffentlichkeit übereinander herfallen. Mein Herzschlag setzte kurzzeitig aus. Ich sah mir das dritte Foto an und merkte, wie mir der Schweiß am Rücken ausbrach. Prescot und ich, wie wir im Stuff A Bear am Flughafen standen. Wir hielten beide den rosafarbenen Bären. Es sah romantisch aus, als hätten wir ein heimliches Date. Ich biss mir in die Innenseite der Wange, ehe ich den Blick hob.

  »Woher haben Sie das?«, fragte ich scharf.

  Prinz Oscar
zog eine Augenbraue hoch. »Auch wenn es Sie nichts angeht: Das Erste stammt vom Taxifahrer, das Zweite von einem Clubbesucher und das Dritte von einem Passanten.«

  Unsere Blicke verschränkten sich, und ich bemerkte, wie mir eine unangenehme Gänsehaut über den Rücken kroch, während sich eine dunkle und ungute Vorahnung in mir breitmachte. Trotz allem hielt ich sie zurück und gab mich gelassen.

  »Ich bin mir sicher, dass es nicht die ersten Bilder dieser Art sind, die Sie von Prescot gesehen haben«, bemühte ich mich, so besonnen wie bisher zu antworten.

  Der König in spe verzog abfällig das Gesicht und lehnte sich zurück, sodass das Leder erneut knarrte.

  »Das nicht. Allerdings müssen Sie wissen, dass jedes Mädchen, mit dem mein Neffe zu tun hat, aufs Genaueste überprüft wird. Und über Sie, Miss Silver, konnten meine Leute so gut wie gar nichts herausfinden.«

  »Vielleicht, weil es nichts herauszufinden gibt?«, sagte ich und lehnte mich mit einer Bewegung zurück, die seine spiegelte, obwohl mir die Lehne dabei unangenehm in den Rücken stach.

  Oscar presste den Mund zusammen und zog eine Mappe zu sich herüber, die er an einer bereits markierten Stelle aufschlug. Ein weiteres Foto von mir selbst prangte mir entgegen.

  »Ihr voller Name lautet Daisy Margaret Silver. Zwanzig Jahre alt. Sie sind die Tochter eines Majors, Ihre Mutter ist bereits verstorben. Derzeit wohnhaft in Miami. Angestellt sind Sie bei einer Firma namens MacCainSavings. Einer Firma, deren genauen Arbeitsbereich meine Mitarbeiter bislang nicht ermitteln konnten.« Sein Blick wurde hart.

  Ich lächelte knapp. »Ich arbeite dort in der Kinderbetreuung.«

  »Das ist alles?«

  »Ja. Wie Sie offensichtlich bereits wissen, habe ich zwar einen Highschoolabschluss, jedoch weder das College noch eine Universität besucht. Ich muss für meinen Unterhalt arbeiten, und da sind gut bezahlte Jobs selten.«

  »Verstehe«, knurrte er und schlug meine Akte zu, denn mehr gab es dort wirklich nicht zu sehen. Keine Vorstrafen, keine sonstigen Vermerke.

  Ich lächelte still und leise in mich hinein.

  »Und Sie sind hier in Kanada, weil …?«

  »Ich mache Urlaub bei Freunden.«

  »Und diese Freunde sind?«

  »Freunde aus meiner Kindheit.«

  Die Augenbrauen des Thronfolgers fuhren zusammen. Wie ein V furchten sie die Haut, während er aus seiner Schreibtischschublade einen schmalen Block zog.

  »Schön. Wie viel wollen Sie?«, fragte er.

  »Verzeihung, ich glaube, ich verstehe nicht«, sagte ich langsam, weil ich es tatsächlich nicht tat.

  Prinz Oscar stieß ein bellendes Lachen aus. »Ich frage, wie viel Geld Sie wollen, um der Presse zu versichern, nur eine Affäre zu sein, meinen Neffen in Ruhe zu lassen, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen und das Land umgehend zu verlassen.«

  Fassungslos starrte ich den Mann vor mir an. Ein bitterer Geschmack legte sich auf meine Zunge.

  »Geld? Sie bieten mir Geld?« Prescot hatte recht!

  »Ganz genau. Wie viel?«

  »Ich bin nicht bestechlich.«

  »Ich bitte Sie. Jeder Mensch ist das. Und mein Neffe ist nun wirklich keine fünfstellige Summe wert. Sie wollen doch studieren, oder nicht? Damit könnten Sie es.«

  Durch meinen gesamten Körper zuckte die blanke Wut. Im selben Augenblick, als ich aufsprang, schwang auch die Tür hinter uns auf, und ich hörte Stimmen, gefolgt von Schritten, die hereinkamen.

  »Oscar, was tust du da?«, fragte eine Stimme, die weit weniger tief und grollend, deswegen aber nicht minder autoritär klang.

  Ich fuhr herum und sah Prescot mit seinem Vater hereinkommen. Hinter den beiden huschte das Dienstmädchen durch die Tür, das ein Tablett mit Tee balancierte.

  Oscar bleckte die Zähne, und prompt fühlte es sich an, als würde die Zimmertemperatur um ein paar Grad sinken.

  »Was ich hier tue? Die Probleme deines Balgs aus der Welt schaffen!«

  »Oscar«, sagte Prescots Dad barsch. »Wir haben das besprochen. Sie darf und will offensichtlich auch hier sein. Dein Problem mit dieser Situation ist mir absolut schleierhaft.« Er musterte seinen Bruder hart, doch der sah alles andere als schuldbewusst aus.

  Prescots Vater kam neben mir zum Stehen und warf mir ein ehrliches Lächeln zu. »Du musst Silver sein. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, auch wenn die Umstände idealer sein könnten. Diese ganze Situation hier tut mir sehr leid.«

  »Es freut mich ebenfalls, Sie kennenlernen zu dürfen, Sir. Sie haben einen bemerkenswerten Sohn«, sagte ich und meinte diesmal jedes Wort ehrlich, genauso wie die knappe Verbeugung. Dass Knicksen einfach nicht mein Ding war, hatte ich direkt nach meinem ersten Versuch beschlossen.

  Prescot stellte sich sichtlich besorgt neben mich, während er das Scheckbuch musterte, das immer noch auf dem Tisch lag. »Worüber habt ihr gerade gesprochen?«, fragte er salopp, als erwarte er die Antwort: »Übers Wetter.«

  Bevor Oscar etwas sagen konnte, lächelte ich Prescot an und nahm seine Hand. »Über nicht viel. Bisher nur über die Dauer meines Aufenthalts hier in Kanada. Da wir nun offiziell zusammen sind, habe ich mich gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, mein Visum zu verlängern.«

  Ich war mir nicht sicher, was ihn mehr aus der Bahn warf: meine Berührung oder meine Worte.

  »Du meinst …«, setzte er hoffnungsvoll an.

  »Ich bleibe«, sagte ich entschlossen.

  »Ja … du bleibst«, flüsterte Prescot, ehe sich ein umwerfend schönes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. »Du bleibst!«, jubelte er dann laut und zog mich in eine feste Umarmung.

  Ohne es wirklich zu wollen, lachte ich auf, während ich gleichzeitig nach Luft rang. Hatte sich jemals schon mal irgendwer so sehr gefreut, einfach nur … wegen mir? Prescot war so wunderv… bekloppt!

  »Prescot, das ist …«

  »… inakzeptabel!«, brüllte sein Onkel. Das Krachen, als er seine Faust auf den Schreibtisch knallte, ließ uns ruckartig auseinanderfahren. »Wir befinden uns inmitten einer Staatskrise! Das Volk, der Thron, alles steht auf dem Spiel, das lasse ich mir doch nicht von einer lächerlichen Affäre zerstören. Noch dazu einer Affäre mit einer respektlosen, ungebildeten Amerikanerin. Phillip, ich habe diese Einladung nur wegen dir geschickt. Du meintest, ich solle sie mir ansehen und die Situation einschätzen. Nun, das habe ich getan. Ich will sie nicht hier haben. Und halte endlich deinen Jüngsten unter Kontrolle, oder ich sehe mich gezwungen …«

  »Respektlos? Ungebildet? Du mich zwingen? Du bist wahrlich der größte Egomane auf diesem Planeten, Bruder«, sagte Prescots Vater, und durch seinen beinahe schon hageren Körper ging ein Ruck, als hätte er einen Stromschlag erhalten. Seine gesamte Gestalt schien sich zu verändern. »Respektlos ist hier nur dein Verhalten, Oscar. Wir leben weder im 18. Jahrhundert, noch pflegen wir solch eine strenge Tradition wie England. Prescot ist frei, sich zu verlieben, in wen und wann immer er will. Und wenn du deine cholerischen Ausbrüche nicht langsam in den Griff bekommst, wird das Volk am Ende dieses Monats größere Problem haben als eine Amerikanerin in der unwichtigen Klatschpresse.«

  »Nein, das kann ich so nicht akzeptieren. Ich werde König von Nova Scotia! Ich entscheide, wer kommt und wer geht«, brüllte Oscar so laut, dass selbst ich eine Gänsehaut bekam.

  Prescot wurde blass wie die Wand, und sein Vater presste die Lippen zusammen.

  »Das ist noch nicht sicher. Außerdem sind wir hier nicht in Nova Scotia, sondern in Vancouver. Und hier bist auch du nur ein Gast. Hier entscheidest du gar nichts.«

  Oscar und Phillip starrten sich an und wirkten dabei wie zwei Seiten ein und derselben Medaille. Auf gewisse Weise ähnelten sie sich bis auf Haar, auf der anderen Seite hätten sie aber auch nicht verschiedener sein können. Wie der Kopf und die Zahl einer Münze.

  »Dieses Mädchen wird keinen Schritt nach Nova Scotia setzen«, knurrte Oscar.

  »Wir werden ja sehen, wer bis dahin die Staatsgewalt hat«, erw
iderte Phillip gereizt und drehte sich ruckartig um. »Kommt, Kinder«, wandte er sich um einiges sanfter an uns, und der Blick seiner blauen Augen hinter der randlosen Brille verschlug mir in diesem Moment die Sprache.

  Ich konnte mich nicht erinnern, wann sich jemals ein Mensch so für mich eingesetzt hatte. Ohne jeden ersichtlichen Hintergedanken. Ohne mich auch nur zu kennen.

  Prescots Vater legte uns jeweils eine Hand in den Rücken und dirigierte uns hinaus. Sein Gang war stolz, der Kopf erhoben, obwohl sein Bruder gerade dabei war, uns mit Blicken Löcher in den Rücken zu brennen. Stumm verließen wir das Büro und gingen den Flur hinab, hinein in ein anderes Büro, das beinahe identisch mit Oscars war, mit der Ausnahme, dass die Atmosphäre hier drinnen nicht der einer Nuklearkatastrophe glich. Erst hier schien Prescots Dad wieder in sich zusammenzusinken. Mit hängenden Schultern und müdem Blick ließ er sich auf einer gemütlich aussehenden Sofalandschaft nieder.

  »Setzt euch, ihr zwei«, bat er.

  Prescot tat es, ohne zu zögern. Erst als die beiden bemerkten, dass ich immer noch mit gestrafften Schultern neben ihnen stand, blickten sie verwundert auf.

  »Ist etwas, Silver?«, fragte mich Prinz Phillip besorgt und setzte sich gerader auf.

  Ich schluckte, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und neigte ruckartig den Kopf. »Sir, ich möchte mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, für die meine Person bei Ihnen und Ihrer Familie sorgt. Wenn Sie es wünschen, werde ich mich umgehend zurückziehen und Sie nicht weiter belästigen.«

  Stille antwortete mir. Ich zwang mich, ruhig stehen zu bleiben und den Blick gesenkt zu halten, bis ich eine feste, warme Berührung an der Schulter fühlte.

  »Sieh bitte auf, Silver.«

  Ich tat wie befohlen, schaffte es jedoch nicht, die Anspannung aus meinen Muskeln zu bekommen. Ryan mochte das nach Belieben an- und ausschalten können oder hatte es gar nicht wirklich verinnerlicht, doch in mir saß der Drill der letzten Jahre zu tief und ich merkte, wie mir am Rücken der kalte Schweiß ausbrach. Es fühlte sich beinahe an wie die letzten beiden Male, kurz bevor ich gefeuert worden war. Auch Phillips Blick war derselbe. Stechend und bekümmert, als würden ihm seine nächsten Worte leidtun. Er öffnete den Mund, doch die Worte, die ich dann tatsächlich hörte, zogen mir praktisch den Boden unter den Füßen weg.