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Kiss Me Twice Page 18


  »Danke, aber ich denke, ich kann auf mich selbst aufpassen.«

  Die Augenbraue sank wieder hinab. Helena lächelte schief. »Wir werden sehen. William kann wirklich sehr charmant sein, wenn er etwas will.«

  »Und du meinst, er will mich?«

  »Nein, er will Prescot verletzen«, entgegnete sie kryptisch.

  Meine Hände umklammerten das Champagnerglas. Ich öffnete den Mund, doch die scharfe Erwiderung blieb mir im Hals stecken, weil die jungen Männer unter den Adligen plötzlich die großen, langen Stangen von den Wänden nahmen, die ich bislang für überdimensionale Billardqueues gehalten hatte. Was sie aber offensichtlich nicht waren. Denn die meisten der Typen stellten sich im Kreis auf und richteten die Stangen in die Mitte, während einige andere im Kreisinneren in Stellung gingen, darunter Prescot und William.

  »Was …«, setzte ich an, als bereits die Musik einsetzte. Und jupp, diesmal war es die Dudelsackmusik.

  »Das ist der echte Scotia Doodle«, raunte mir Helena ins Ohr, und ich sah irritiert dabei zu, wie die jungen Männer die Stäbe in einem schnellen Rhythmus aneinander, auf den Boden oder über Kreuz schlugen.

  Die Teilnehmer in der Mitte hopsten und sprangen und drehten sich. Diejenigen, die zu langsam waren oder einen falschen Schritt machten, verkeilten sich in den Stäben, verloren den Halt und knallten hart am Boden auf, woraufhin sie den Kreis verlassen mussten. Jedes Mal, wenn einer von ihnen den Boden knutschte, zuckte ich zusammen. Das sah verdammt schmerzhaft aus. Und vor allem extrem anstrengend. Schon nach kürzester Zeit schnauften und schwitzten die Kerle. Die Bewegungen wurden träger, wohingegen die Musik immer schneller wurde und auch die Stäbe immer häufiger aneinanderschlugen. Ich zuckte zusammen, als das Bein eines jungen Mannes zwischen die Stäbe geriet. Das Knirschen war quer durch den Raum zu hören. Die Ballbesucher hingegen applaudierten und jubelten, als würden sie bei einem Footballmatch zusehen.

  Nach wenigen Minuten waren nur noch zwei Personen in der Mitte: Prescot und William. Die beiden standen sich gegenüber und starrten sich erbittert an. Schweiß glänzte auf ihren Gesichtern, und beide hatten bereits ihre Hauben verloren, sodass nur noch ihre Röckchen hüpften. Die Musik setzte aus, und die zwei Kampfhähne schnappten nach Luft.

  »Was passiert jetzt?«, fragte ich Helena.

  »Das Finale«, sagte sie, und in blankem Horror sah ich zu, wie die beiden ihre Schwerter zückten, die sie die ganze Zeit über umgebunden gehabt hatten. Da begann die Musik von Neuem und – Scheiße, doch, sie wollten. Die Klingen klirrten bei jedem Aufprall. Gebannt sah ich den beiden zu, wie sie mehr in der Luft als am Boden waren, während sie mit viel Gehopse und hohen Sprüngen den flachen Hieben des Gegners auswichen. Ein falscher Schritt, und die Schwertklingen würden ihnen die Knöchel zerschneiden.

  William lächelte. Seine Mundwinkel hoben sich, doch seine Augen blieben ausdruckslos und schwarz. Wie polierte Kohle. Das Lächeln wirkte irgendwie grausam. »Und wieder stehen wir uns gegenüber. Fühlt sich an wie in der Schule, was, Prescot?«

  Prescots Kinn zuckte, doch er entgegnete nichts darauf. Die beiden wirbelten herum und tauschten Plätze, als würden sie nur Seil hüpfen, als ihre Klingen am Boden erneut aufeinanderprallten, geriet William ins Stolpern. Er fiel wie in Zeitlupe. Seine Arme ruderten und erwischten Prescot, der sich dabei unweigerlich eine Ohrfeige einhandelte, die ihn ebenfalls aus dem Gleichgewicht brachte. Die beiden gingen zusammen zu Boden. Eines der Schwerter stoppte nicht rechtzeitig, und Prescot fiel mit der Kehle voran auf die kalt blitzende Schneide.

  Mein erschrockener Aufschrei war durch den ganzen Raum zu hören. Jemand versuchte, mich zu packen, doch ich riss mich los und rannte quer durch den Raum direkt auf Prescot zu.

  William lag neben ihm am Boden, über und über mit Schweiß bedeckt. Prescot rührte sich nicht. Er war …

  »Prescot! Prescot, bitte sag was«, bellte ich ihm ins Ohr, als würde ich ihm einen Befehl erteilen. Dabei ließ ich mich auf die Knie fallen und drehte ihn in der sicheren Erwartung um, sein schönes, fröhliches Gesicht über und über mit Blut beschmiert zu sehen. Doch tatsächlich war da … gar nichts?

  »Prescot?«

  »Aua!«, krächzte er und linste zu mir hoch. »Silver? Was genau tust du da?«

  »Ich … Was ich hier mache? Ich wollte deinen bescheuerten Schädel von einem Schwert runterziehen!«, brüllte ich ihn an.

  »Was?« Verdutzt sah er mich an.

  William lachte. »Hast du ihr nicht gesagt, dass die Klingen stumpfer sind als alte Brotmesser?«

  »Hast du dir Sorgen um mich gemacht, Schnuffelchen?«, flötete Prescot.

  Ich knallte ihm eine. »Wehe, du erschreckst mich noch einmal so! Ich dachte, mein Herz bleibt stehen«, brüllte ich ihn an, und er begann, unter mir herumzuzappeln.

  »Silver«, zischte William, der sich langsam aufrappelte. »Silver!«

  Ich fuhr zu ihm herum und blaffte: »Zu dir komme ich auch noch! Wie kannst du einfach so stolpern und ihn … Oh.«

  Ich hielt inne. Der gesamte Saal starrte uns an. Also mich. Oscar stand genau über uns und musterte mich mit einem so abschätzigen Blick, dass mir ganz anders wurde.

  »Seid ihr bald fertig damit, unsere Traditionen ins Lächerliche zu ziehen?«, fragte er ruhig.

  »Ich … ähm … ja.«

  Kapitulierend zog ich die Hände zurück, und Prescot rappelte sich neben mir auf. Er sagte nichts, doch um seine Mundwinkel spielte ein feines Lächeln, während seine Finger meinen Handrücken streiften. Es fühlte sich wie eine Miniumarmung an.

  »Sehr schön.« Oscar rückte einen der Orden auf seiner Brusttasche zurecht. Das Licht der Kronleuchter spiegelte sich darin. »Da William zuerst gefallen ist, hat Prescot gewonnen. Ich gratuliere dir, Neffe.«

  Er drehte sich um, während zögerlicher Applaus erklang. Noch nie war es mir so schwergefallen, ein Pokerface aufrechtzuerhalten. Prescot grinste von einem Ohr zum anderen.

  »Was ist?«, fuhr ich ihn an, während wir langsam die dämliche Tanzfläche verließen.

  »Nichts«, sagte er nur und grinste noch breiter.

  »Das war ja mal eine interessante Vorstellung«, begrüßte uns Evangeline.

  Neben ihr stand Helena, und auch William trottete neben uns her, als hätte er momentan nicht genug Energie, um weiter gegen Prescot zu bitchen.

  »Ihr hättet mich ruhig vorwarnen können«, fuhr ich sie an.

  »Ich hab versucht, dich festzuhalten, aber du bist verdammt stark«, rechtfertigte sich Helena.

  »Ich brauch was zu trinken«, brummte William und winkte eine Kellnerin näher.

  Es war ein Glas zu wenig auf ihrem Tablett. Schulterzuckend nahm ich mir mein zuvor abgestelltes Glas wieder, doch Prescot gab mir – ganz Gentleman – seines und schnappte sich dafür mein altes, dessen Inhalt inzwischen kaum noch prickelte.

  »Also dann, trinken wir auf …«, setzte Helena an.

  »… Prescots Hals. Möge er für immer auf deinen Schultern ruhen«, fiel ihr William feixend ins Wort.

  Prescot schnaubte, doch wir stießen die Gläser aneinander, und er schüttete den Champagner in einem Schluck hinunter. Sekunden später verzog er das Gesicht.

  »Alles in Ordnung?«, fragte ich ihn leise.

  »Ja, aber das Schlucken tut verdammt weh.«

  »Da lässt man dich einmal aus den Augen, und schon baust du Scheiße«, knurrte ich, hob sein Kinn an und musterte die langsam blau anlaufenden Male, die sich dort abzeichneten, wo ihn das Schwert getroffen hatte. Die Klingen mochten stumpf sein, doch es musste trotz allem ziemlich wehgetan haben.

  »Silver, du musst dir echt keine Sorgen machen«, versicherte er mir und fing meine Hand auf.

  Mir stockte der Atem, als er einen Kuss auf meine Fingerknöchel hauchte. Sein Daumen fuhr über die feinen schwarzen Tätowierungen an den einzelnen Fingern.

  »Und nebenbei: Du hast das heute wundervoll gemacht.« Er lächelte mich an, seine Augen leuchteten beinahe fiebrig.

  Seu
fzend presste ich die Lippen zusammen. »Ich hab dich blamiert. Aber sag mal: Bist du sicher, dass es dir gut geht? Du siehst verdammt blass aus«, sagte ich, und noch während ich redete, wurde Prescot noch ein wenig blasser.

  »Ja … nein … ich …«

  Er blinzelte. Mit jedem Wort wich mehr Farbe aus seinem Gesicht. Er taumelte. Erschrocken schnellte ich nach vorn und schlang meine Arme um seine Taille, obwohl ich dabei meinen Champagner auf seinen Anzug verschüttete.

  »Vi… vielleicht geht’s mir doch nicht so g…«, stieß er hervor, ehe er die Augen verdrehte und ohnmächtig wurde.

  Silver

  Ich saß vor Prescots Tür wie ein unartiges Hündchen. Sie hatten ihn in sein Zimmer gebracht, und vor einer halben Stunde war schließlich eine dünne Frau mit grauen Haaren und weißem Kittel hineinmarschiert. Die Ärztin. Phillip, Helena und Penelope waren ebenfalls dort drinnen. Dass ich selbst nicht willkommen war, hatten sie nicht sagen müssen, es hatte die Tür genügt, die sie mir vor der Nase zuschlugen.

  Jetzt saß ich hier, während sich mein Magen vor Angst zusammenkrampfte. Was hatte ich übersehen? War es der Sturz gewesen? Etwas im Getränk? Und wenn, in meinem oder seinem? War es einfach Zufall? Oder gab es einen ganz anderen Grund? Was hatte ich nur übersehen, was ich eigentlich hätte sehen müssen? Das Problem war: Ich war zu abgelenkt gewesen. Von … von Prescot und … von allem, was mit ihm zusammenhing. Von allem, was sich in meiner Brust zusammenballte und sich nach Gefühlen anfühlte. Nach Gefühlen für Prescot. Er musste gar nicht mehr tun, als neben mir zu stehen, und mein Herz raste bereits los. Vor lauter Herzchen konnte ich praktisch gar nichts mehr sehen. Und deswegen lag er jetzt dort drinnen: weil ich ihn nicht beschützt hatte. Weil ich ihn nicht beschützen konnte. Ich war eine Schande! Kein Wunder, dass ich bisher jeden Job verloren hatte. Ich war unfähig, unfähig und noch mal unfähig!

  Die Schmetterlinge in meinem Bauch waren etwas Ekligem gewichen. Wie zäher Schleim, der sich ähnlich wie Sodbrennen in mir hocharbeitete. So konnte das nicht weitergehen. Ich war hier, um Prescot zu helfen, und dabei jämmerlich gescheitert. Vor lauter Wut auf mich selbst wollte ich gegen etwas treten und starrte dann doch nur finster in die Luft. Wie konnte ich nur so nutzlos sein? Warum war mir so vieles entgangen?

  Ich musste damit aufhören. Jetzt sofort. Ich musste mich konzentrieren. Ich musste wachsam sein. Ich musste Prescot beschützen, sofern er das überhaupt noch von mir wollte. Ich war sein Bodyguard, nicht seine Freundin. Ab sofort würde ich das sein, was er brauchte. Sein Geleitschutz. Sein Schatten. Nichts und niemand würde jemals wieder nah genug an ihn herankommen, um ihn verletzen zu können.

  »Ist alles in Ordnung?«, schreckte mich eine zarte Stimme aus meinen Gedanken.

  »Was?«, entgegnete ich verwirrt. »Oh, Carla.«

  Das Dienstmädchen schälte sich neben mir aus dem dunklen Gang, ein Tablett mit heißen Getränken in den Händen. Es musste inzwischen weit nach Mitternacht sein, doch sie sah immer noch wie aus dem Ei gepellt aus.

  »Guten Abend.« Sie lächelte und bückte sich zu mir herab. »Möchten Sie vielleicht Kaffee? Oder Tee?«

  »Hm … danke«, murmelte ich und nahm einen Becher Kaffee entgegen. Er war schwarz. Mein Gesicht spiegelte sich darin, blass und übermüdet.

  »Machen Sie sich keine Sorgen. Mr Prescot wird sich wieder erholen«, versicherte sie mir.

  »Wollen wir’s hoffen.«

  »Ganz bestimmt. Ich weiß es«, sagte sie mit solcher Inbrunst in der Stimme, dass ich verwundert aufsah.

  Doch da klopfte sie bereits an die Tür und verschwand im Inneren.

  Wie gern wäre ich ihr gefolgt. Doch ich blieb im Flur sitzen und spürte, wie mir die Kälte in die Glieder kroch.

  Der Kaffee war bereits kalt, als die Tür erneut aufschwang. Phillip und die Zwillinge kamen nach draußen.

  »Und?« Ich war so schnell auf den Füßen, dass Phillip zusammenzuckte.

  »Himmel, Silver! Hast du die ganze Zeit hier gegessen und gewartet?«, fragte er ungläubig.

  »Und, wie geht es ihm?«, fragte ich erneut, ohne auf seine Worte einzugehen.

  Penelope schnaubte. »Blendend! Der pennt. Er hat nur zu viel getrunken.«

  »Was?« Verwundert sah ich sie an. Das sollte ja wohl ein schlechter Witz sein, oder?

  Phillip massierte sich den Nasenrücken. »Wir haben ihm Blut abgenommen. Er hatte einen Alkoholpegel von über anderthalb Promille. Zusammen mit dem Schlafmangel hat sein Kreislauf einfach schlappgemacht.«

  »Typisch Scot«, murrte Penelope und rauschte an uns vorbei.

  Helena gähnte und sah dabei mindestens so fertig aus, wie ich mich fühlte.

  »Nein, Sir, das kann nicht stimmen. Ich war die ganze Zeit bei ihm, und er war nicht betrunken. Das Glas Champagner war an diesem Abend das Einzige, was ich bei ihm gesehen habe.«

  Phillip lächelte und tätschelte mir die Hand. »Es ist wirklich nett, dass du so für ihn eintrittst, Silver, aber das ist nicht nötig. Wir sind einfach müde. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.« Damit ließ er mich stehen und verschwand in den dunklen Gang. Doch mit jedem seiner Schritte wurde mein Stirnrunzeln tiefer.

  »Helena!« Ich wirbelte herum. »Du warst doch die meiste Zeit bei uns und hast auch gesehen, dass er nichts getrunken hat. Ich hab Prescot sowieso noch nie viel trinken sehen.«

  »Unten nicht«, stimmte sie mir zu und hob eine Hand. Darin hielt sie eine beinahe leere Flasche Wodka. »Aber die hier war in seinem Schlafzimmer. Du warst doch vor dem Ball nicht bei ihm, oder? Früher hat er öfter mal über die Stränge geschlagen. Ich dachte eigentlich, das wäre vorbei, aber offensichtlich war der Stress der letzten Tage ein bisschen zu viel für ihn. Mach dir keine Sorgen, Silver. Er ist ein großer Kerl, er verkraftet das schon. Wir haben uns nur erschreckt. Wie Dad schon gesagt hat, wir sind alle müde, und du solltest auch schlafen gehen.«

  Sie lächelte und ging an mir vorbei. Ich starrte ihr nach. Lange.

  »Nein, das kann nicht sein. Er hat nicht nach Alkohol gerochen«, flüsterte ich in die bedrückende Dunkelheit.

  Meine Sinne schärften sich schlagartig, als ich merkte, dass stimmte, was ich da sagte. Prescot war nicht betrunken gewesen. Etwas war hier faul!

  Ich riss die Tür auf, und sowohl die Ärztin als auch Carla fuhren überrascht zu mir herum.

  »Was machen Sie da?«, fragte ich scharf, als ich sah, wie die Ärztin kurz davor war, eine Nadel in Prescots Arm zu jagen.

  »Ich gebe ihm eine Kochsalzlösung und eine Vitamin-B-Infusion, damit er bis morgen wieder auf die Beine kommt«, erwiderte die Ärztin ruhig und legte den Zugang.

  Mein Blick huschte zu dem Beutel, der über dem Bett hing.

  »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, fragte sie und sah mich durch ihre Brillengläser streng an.

  »Seine Freundin. Und ich bezweifle, dass Prescot einen Alkoholpegel von über anderthalb Promille hat«, schoss ich zurück. »Er hat nichts getrunken. Wiederholen Sie den Test noch mal.«

  »Das habe ich bereits. Zweimal. Das Ergebnis war immer dasselbe«, versicherte mir die Ärztin und klappte ihren Koffer zu. »Keine Sorge, er wird schon wieder. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen. Es war ein langer Tag, und der Prinz braucht seine Ruhe.«

  Das Letzte ging ganz klar an mich, doch ich blieb einfach stehen und verengte die Augen zu Schlitzen. Die Ärztin seufzte und rauschte an mir vorbei.

  »Brauchen Sie noch etwas? Kann ich Ihnen etwas bringen?«, erkundigte sich Carla leise bei mir.

  Ich schüttelte den Kopf, woraufhin sie mit einem freundlichen Lächeln hinter der Ärztin aus dem Raum verschwand.

  Ich starrte die Tür an. Nebenan war mein Zimmer, doch ich würde den Teufel tun und Prescot allein lassen. Hier stimmte etwas nicht. Prescot hatte sicher nichts getrunken. Ich hatte in meinem Leben bereits genug mit Leuten zu tun gehabt, um zu erkennen, wann jemand betrunken war und wann nicht. Was auch immer die Ärztin behauptete, sie log. Ich musste nur noch herausfinden, warum und f
ür wen sie arbeitete, und dann eine Liste der Verdächtigen erstellen. Ich hatte die Befürchtung, dass diese Liste lang werden würde.

  Leise trat ich an Prescots Bett heran. Helles Mondlicht fiel herein und ließ sein Haar weiß wie Schnee und sein Gesicht bleich wirken. Seine Atmung ging ein wenig zu schnell.

  »Keine Sorge. Ich beschütze dich«, flüsterte ich und fuhr mit der Hand seine Wange entlang.

  Er lächelte und lehnte seine Wange in meine Handfläche. Kurz genoss ich die Wärme, ehe ich mich zurückzog, mir einen Stuhl holte und mich in den Schatten des Kamins setzte. Wenn jemand dieses Zimmer betrat, musste dieser Jemand erst an mir vorbei. Ich würde Prescot beschützen. Ich war sein Schatten. Komme, was wolle.

  Prescot

  Ich musste gesoffen haben. Anders konnte ich mir jedenfalls nicht erklären, warum ich mich fühlte wie ein überfahrenes Karnickel, das seit drei Tagen auf der Straße lag und in dessen Nase ein bestialischer Gestank kitzelte. Ich verzog das Gesicht. Das Atmen fiel mir zusätzlich schwer, so als würde etwas auf meiner Brust sitzen. Langsam versuchte ich mich umzudrehen, aber ein stechender Schmerz schoss meinen Arm hinauf.

  »Was ist …? Argh!«

  Völlig fertig zwang ich meine Augen auf. Es fühlte sich an, als würde ich im Licht wie ein Vampir in tausend Staubfussel zerbröseln.

  »Örgs.«

  Okay, also das kam jetzt nicht von mir, oder? Ich schielte auf meine Brust, auf der immer noch diese Schwere lastete, und sah in zwei pechschwarze Glupschaugen.

  »Sir Henry?«, nuschelte ich.

  »Örgs.«

  Der Mops wackelte aufregt mit seinem Stummelschwanz und begann mein Gesicht abzulecken. Oh. Deshalb also das Kitzeln in der Nase und das Gefühl, nach überfahrenem Tierkadaver zu stinken.

  »Runter mit dir, Kumpel, du stinkst aus dem Maul«, brummte ich und versuchte, den schweren Mops von mir herunterzuschubsen, als der Schmerz in meinem Arm wieder aufflammte. »Was zum …« Ich hob den Blick und sah einen Infusionsschlauch, der meinen Arm mit einem leeren Beutel verband. »Was zum Teufel ist passiert?«, fragte ich lauter, und Sir Henry bellte aufgeregt, was fiese kleine Nadelstiche durch mein Hirn jagte. »Aua!«