- Home
- Stella Tack
Kiss Me Twice Page 12
Kiss Me Twice Read online
Page 12
»Da steht mein Name. Ryan«, sagte er stolz und deutete auf die komischen Krakel. »Das hier ist ein R und das ein y. Das haben wir eigentlich noch nicht gelernt, aber ich kann es trotzdem schon schreiben, weil ich total klug bin. Das lernst du bestimmt auch noch, wenn du …«
Zornig ballte ich die Faust der nicht gebrochenen Hand zusammen und haute sie ihm gegen den Oberarm.
»Aua! Was …«
»Hör auf zu reden! Ich bin auch schlau!«, schrie ich ihn an.
Ryans Augen wurden groß. Ich sah mich selbst darin. Viel zu blass und zu schmal. Wie ein Geist mit wirren Haaren und viel zu großen zornigen Augen.
»Ich konnte nur nicht in die Schule, weil Mommy krank war. Aber nächstes Jahr … nächstes Jahr komm ich auch in die Vorschule, und dann werd ich viel klüger als du! Viel, viel klüger!«
Ryan öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgestoßen und eine Schwester im rosa Kittel kam herein. Sie roch ebenfalls nach Desinfektionsmittel, wie alles hier.
»Daisy?«, fragte sie sanft lächelnd. »Dein Vater ist hier und möchte dich sehen. Kommen Sie rein, Major.«
Ryan und ich erstarrten, als die Tür aufschwang. Ich weiß nicht mehr, ob sie wirklich knarrte, aber in meiner Erinnerung tat sie das. Ich hob den Kopf, als sich ein Schatten über den Boden fraß und das Sonnenlicht verschluckte. Zentimeter für Zentimeter, bis er gänzlich über mir lag.
»Hallo, Silver.«
Ich öffnete den Mund und heraus kam …
»Silver? Silver! Wach auf!«
»Scheiße!« Ruckartig schlug ich die Augen auf, schoss nach oben und knallte mit der Stirn hart gehen ein Hindernis.
»Fuck!« Ryan zuckte zusammen, und gemeinsam hielten wir uns die brummenden Schädel.
»Was zum Teufel machst du da, Ryan?«, stöhnte ich, während er mich wütend anstarrte.
»Ganz toll. Ich werde heut aussehen wie ein beklopptes Einhorn.«
»Das wird Ivy sicher freuen.«
Er knurrte, und wir blinzelten uns an. Sein Haar war immer noch wirr, und er trug nur eine Schlafanzughose. Die tätowierte Brust sah blass aus im einfallenden Sonnenlicht, das durch das Fenster der Dachschräge fiel.
»Was ist …«, setzte ich an, als Ivy von der Küche ins Wohnzimmer kam und nervös an einem riesigen Kaffeebecher schlürfte.
»Hast du es ihr schon gesagt?«
»Bin noch nicht dazu gekommen. Musste mir erst den Schädel spalten lassen«, brummte Ryan.
»Was gesagt?« Alarmiert setzte ich mich auf. Die Sofakissen lagen wild verstreut am Boden.
Ryan und Ivy wechselten einen seltsamen Blick. »Ähm … Silver, ist gestern Abend irgendwas passiert?«, fragte Ivy schließlich. Sie trug keine Socken, sodass ich sehen konnte, wie sie ihre Zehen nervös verkrampfte.
»Was?« Ich blinzelte sie irritiert an.
»Na ja …«, druckste sie herum.
»Vor unserer Tür steht ein Haufen Reporter, die alle deinen Namen rumschreien und ein Interview haben wollen«, platzte Ryan dazwischen.
Ich erstarrte. »Was?«, echote ich wieder.
»Schau’s dir selbst an«, murrte Ryan.
Innerhalb einer Zehntelsekunde war ich auf den Füßen und rannte zum Küchenfenster, das nach draußen auf die Straße zeigte. Ivy musste sich auf den Tresen setzen, um etwas sehen zu können, Ryan und ich standen nebeneinander und blickten voller Grauen auf die Horden an Paparazzi herab, die das Haus belagerten.
»Verfickte Scheiße!«, entfuhr es mir, während eine ungute Ahnung in mir hochkroch.
»Also?«, fragte Ryan lauernd. »Ist gestern was passiert?«
Ich schluckte. »Möglicherweise?«
»Möglicherweise gut oder möglicherweise schlecht?«, bohrte Ivy nach.
Mein Magen schlug Purzelbäume. Ohne zu antworten, drehte ich mich auf den nackten Fußsohlen um und rannte ins Wohnzimmer zurück, schnappte mir die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Die Bilder, die ich dort zu sehen bekam, bescherten mir einen Herzinfarkt. Oder zwei.
»Oh … ich würde sagen, das ist sowohl gut als auch schlecht«, sagte Ivy, und ich merkte erst, dass die beiden mir gefolgt waren, als ich auf dem Sofa kollabierte und die Bilder vor mir wie der Zeuge eines Unfalls anstarrte.
»Das ist einfach nur … schräg«, warf Ryan ein, und ich spürte die Blicke der beiden auf mir lasten, als wollten sie mich zwingen, ein Statement abzugeben. Konnte ich aber nicht.
»Diese Bilder wurden uns gestern Nacht von einem anonymen User der Plattform Royal-It zugespielt. Während das Land noch durch die anstehende Entscheidung des Parlaments in Atem gehalten wird, welcher Thronfolger zum neuen König von Nova Scotia gekrönt werden soll, sorgt Prinz Prescot mit einem neuen Skandal für Ablenkung. Obwohl er gestern eigentlich auf einer Benefizveranstaltung in Vancouver anwesend sein sollte und sein Fernbleiben mit gesundheitlichen Problemen entschuldigt wurde, sichtete man ihn nur wenige Stunden später mit dieser jungen Frau in einer unmissverständlichen Pose. Soweit bisher bekannt ist, handelt es sich bei Prinz Prescots neuster Eroberung um die zwanzig Jahre alte US-Amerikanerin Daisy Silver. Bereits werden erste Fragen laut, ob Prinz Prescot in Nova Scotia zusätzlich zu den aktuellen politischen Unruhen für weiteren Wirbel sorgen wird, indem er sich auf eine Beziehung mit einer bürgerlichen US-Amerikanerin einlässt. Weder das Könighaus noch Daisy Silver haben bisher ein Statement dazu abgegeben.«
»Du … hast mit Prinz Prescot geknutscht?«, fragte mich Ivy beinahe schon ehrfürchtig.
»Fuck!«, sagten Ryan und ich gleichzeitig.
Stöhnend vergrub ich das Gesicht in den Händen, um dieses Bild nicht mehr sehen zu müssen. Von Prescot, wie er sich zu mir im Taxi herunterlehnte. Seine Lippen auf meinen. Ich verbot mir den Schauer an Glücksgefühlen, der mich bei der Erinnerung überrollte. Das war schlecht, blöd und mies, nicht toll und aufregend!
Wie hatte ich übersehen können, dass jemand ein Foto von uns machte? Hatte ich einen Passanten gesehen? Oder eher übersehen? Ich ließ den Abend Revue passieren, doch außer dem Taxifahrer fiel mir niemand ein. Von Royal-It hatte ich zwar schon gehört, doch bisher hatte es mich nie sonderlich interessiert. Bisher hatte aber auch keiner meiner Klienten zu einer royalen Familie gehört. Mich beschlich der leise Verdacht, dass ich es hier mit einem ganz anderen Kaliber von Klatsch und Tratsch zu tun hatte als üblich.
Seufzend schlug ich die Augen auf. »Was mache ich jetzt?«
»Mir alles erzählen? Bis ins kleinste schmutzige Detail?«, schlug Ivy mit leuchtenden Augen vor.
»Abgelehnt.«
Sie seufzte, Ryan ebenfalls. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Abwarten. Vielleicht wird’s ihnen langweilig, vor der Haustür rumzulungern. Ich rufe Georgette an und melde mich für heute ab. Sie wird schon verstehen, warum.«
»Was? Nein, das musst du nicht. Ich brauche keinen Babysitter, Ryan«, motzte ich ihn schärfer an, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte.
Er warf mir einen genervten Blick zu. »Mir egal, was du zu brauchen glaubst. Ich bleibe bei dir.«
»Ryan«, presste ich hervor.
»Ja, so heiß ich. Kauf dir was davon«, äffte er zurück, stand stur auf und verschwand im Schlafzimmer.
»Hör auf!«, schrie ich ihm nach, als mich eine zierliche Hand am Arm berührte. Ich zuckte zusammen.
»Lass ihn«, sagte Ivy mit ruhigem Lächeln, das von ihrem knallharten Tonfall Lügen gestraft wurde.
»Aber …«
»Du weißt ja gar nicht, wie viel es ihm bedeutet, dass du hier bist«, unterbrach sie mich. »Er hat sich damals in Kanada, als es endlich ruhiger wurde, schwere Vorwürfe gemacht, dich alleingelassen zu haben. Er wird jetzt auf dich aufpassen, selbst wenn es nicht das ist, was du willst. Er braucht es.«
Ich schnalzte mit der Zunge und lehnte mich zurück. »Wie schaffst du das nur?«
»Was? Mit ihm zusammen zu sein?«, fragte sie amüsiert.
»Nein.« Ich wandte den
Kopf und sah sie ehrlich verblüfft an. »Ihn zu lieben. So … bedingungslos.«
Ivy musterte mich sanft und zuckte mit den Schultern. »Vertrauen.«
Ich schnaubte.
»Ein wenig Naivität.«
Ich schnaubte wieder.
»Und die unerschütterliche Gewissheit, alle Hindernisse im Leben mit keinem anderen Menschen als diesem einen überwinden zu wollen.«
Ich blieb still.
»Und Gatorade. Viel Gatorade«, warf sie nach ein paar Sekunden Stille ein und kuschelte sich an mich. »So, und jetzt erzählst du mir, woher du Sahneschnitte den gottgleichen Prescot kennst.«
Ich öffnete gerade den Mund, als es an der Tür klingelte. Ivy und ich spitzten beide alarmiert die Ohren, während Ryan noch immer mit nacktem Oberkörper zur Tür stapfte.
»Wenn das ein Paparazzo ist, der es hier hochgeschafft hat, dann stopf ich ihm seine Kamera in den Arsch«, knurrte er und riss die Tür auf.
»Wer ist es, Schatz?«, rief Ivy.
Stille folgte.
»Stopf die Kamera nicht zu tief rein«, rief ich hinterher.
Immer noch Stille. Eine seltsame Stille. Als würde sich die Spannung gleich in der Luft entladen.
»Ryaaan?«, rief Ivy besorgt.
Wir lehnten uns beide schräg nach links, um in den Flur linsen zu können, als Ryan mit einem sehr seltsamen Gesichtsausdruck zurückkam. Hinter ihm kroch ein Schatten über den Boden, Zentimeter für Zentimeter, bis er vor mir aufragte. Auf meinem ganzen Körper breitete sich Gänsehaut aus, während mein Herz schneller schlug.
»Der Typ hier sagt, er will zu dir. Soll ich ihn rauswerfen?«, fragte Ryan ernst und deutete mit dem Daumen hinter sich.
Ich erstarrte, während Ivy sich quietschend das Kissen vors Gesicht hielt.
»Hallo, Silver.«
»Was willst du hier, Prescot?«
Prescot
Ich hoffte wirklich, dass ich nicht so mies aussah, wie ich mich fühlte. Gestern Nacht hatte ich genau zwei Stunden Schlaf bekommen, bevor mich mein Vater geweckt hatte. Zornig war gar kein Ausdruck. Und ich? Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Schon wieder eine Schlagzeile. Zwar nicht die, mit der ich gerechnet hatte, aber dennoch übel genug. Und trotzdem. Alles, woran ich denken konnte, war, zu Silver zu rennen, mich auf Knien bei ihr zu entschuldigen und sicherzugehen, dass es ihr gut ging. Um sie zu sehen … sie zu halten … sie zu alles.
Und hier war sie. In Schlafshorts, die so knapp waren, dass sie jeden Zentimeter ihre nackten Beine zeigten. Um ihre Fesseln schlangen sich Tattoos wie filigrane Ketten.
»Was machst du hier, Prescot?«
Als sie von dem schmalen Sofa aufstand, fiel ihr das helle Haar bis über die Hüften. Das einfallende Licht verfing sich in der Kuhle zwischen ihrem Hals und den Schultern. Ich schluckte, ballte die Fäuste und ging einen Schritt auf sie zu, nur um von dem halb nackten Kerl gestoppt zu werden, der mir gerade aufgemacht hatte. Und es war nicht irgendein halb nackter Kerl. Es war der beknackte Türsteher vom Kiss Me Twice. Ich hätte beinahe geknurrt, als ich ihn sah. Nackt! Na ja, halb nackt.
»Entschuldigung, kann ich bitte durch?«, fragte ich und zog langsam eine Augenbraue nach oben.
Der Kerl tat es mir gleich. »Nein«, sagte er schlicht.
»Lass gut sein, Ryan«, ging Silver dazwischen und schob den Kerl zur Seite, indem sie ihm einfach hart gegen das Schienbein trat.
Der Kerl – Ryan? – zuckte zusammen, und sie schubste ihn lässig mit der Hüfte weg. Die Bewegung wirkte so natürlich, als würden die beiden sich schon sehr lange kennen. Dann mussten der Kerl und das niedliche Mädchen auf dem Sofa wohl die Freunde sein, die sie gestern Abend erwähnt und gesucht hatte.
»Was tust du hier, Prescot? Wie hast du mich gefunden?«, wiederholte Silver ihre Frage und riss mich damit aus meiner Starre.
Ich sah ihr direkt in das wunderschöne Gesicht. »Das war nicht schwer rauszufinden, ich musste ja nur der Schar der Reporter folgen. Zumindest der Hälfte, die nicht das Stadtpalais belagert.«
»Das war ziemlich dumm von dir«, zischte sie und deutete aufgeregt nach draußen. »Weißt du, was das für Spekulationen anfacht, wenn der Prinz persönlich hier reinschneit?«
»Die Bodyguards haben mich begleitet. Sie halten die Paparazzi in Schach.«
»Trotzdem hättest du nicht kommen sollen. Dann hätte ich es einfach aussitzen können«, sagte sie beinahe schon wütend und starrte mich an, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie mir eine reinhauen oder mich doch lieber küssen wollte.
Ich unterdrückte den Schauder und holte stattdessen einen Brief aus meiner Hosentasche. Er war etwas zerknittert, doch das Wachssiegel war trotz allem ungebrochen.
»Aussitzen ist im Moment leider gerade nicht die Lösung. Der potenzielle künftige König lädt dich vor. Sofort. Ich habe verlangt, dich wenigstens persönlich abholen zu dürfen.«
Sie schnappte sich den Brief, brach das Siegel und begann, den Inhalt zu lesen, während sich auf ihrem Gesicht ein Ausdruck breitmachte, als wäre das alles nur ein blöder Scherz.
»Der ist vom möglichen neuen König? Deinem Dad?«
Ich schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Von meinem Onkel. Ich habe gehofft, dass er noch länger in Nova Scotia bleibt, aber er ist gestern Nacht nach Vancouver gekommen. Er will dich sehen.«
»Nun …« Sie knüllte den Brief in ihrer Faust zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber ich will ihn nicht sehen.«
Ich versteifte mich und sah mich unruhig um. Das Mädchen vom Sofa stand inzwischen neben diesem Ryan und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er erwiderte meinen Blick und verengte drohend die Augen.
»Wenn Silver nicht mitkommen will, dann muss sie es auch nicht«, sagte er ruhig. Es klang trotzdem wie eine Drohung.
»Silver …« Ich unterdrückte den Drang, dem Kerl etwas in die Fresse zu jagen. Meine Faust zum Beispiel. Stattdessen atmete ich tief durch und sah Silver geradewegs in die Augen. »Ich weiß, du bist Amerikanerin und nicht mit dem Konzept der Monarchie groß geworden, aber nur als Beispiel: Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten verlangt, dich zu sehen, schlägst du diese Einladung dann auch einfach aus?«
Sie öffnete den Mund, doch ich unterbrach sie bereits, indem ich mir frustriert durch die Haare fuhr. »Glaub mir, wenn du nicht zu ihm kommst, dann kommt er zu dir. Wir haben uns gestern Nacht ziemlich in die Scheiße geritten. Mein Onkel wartet nur darauf, etwas zu finden, worauf er herumreiten kann, um den Ruf meiner Familie noch weiter zu ruinieren. Das hier wird er sich nicht entgehen lassen. Durch Aussitzen wird die Situation nicht besser. Außer natürlich, du verlässt das Land wieder.«
Ich sah auf und bemerkte, wie Ryan die Arme anspannte. »Ist das eine Drohung, Prinzchen?«, bellte er.
Ich blieb ruhig, hielt den Blick starr auf Silver gerichtet. »Nein. Die Wahrheit«, murmelte ich.
Silver musterte mich, straffte die Schultern und nickte.
»Aber …«, setzte Ryan an.
»Ryan!«, unterbrach sie ihn nachdrücklich. »Prescot und ich haben eine Menge zu besprechen. Ihr entschuldigt uns sicher für einen Augenblick, oder?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, packte sie mich und zog mich hinter sich in ein kleines, gemütliches Schlafzimmer.
»Wir sind hier und lauschen«, brüllte uns Ryan nach.
»Nein, tun wir nicht. Lasst euch so viel Zeit, wie ihr braucht«, rief das Mädchen mit den pinken Haarspitzen beschwichtigend hinterher.
Doch da schloss Silver bereits die Tür hinter uns und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. Ich selbst ließ mich auf das Bett sinken und lächelte schief.
»Hey, Silver. Schön, dich wiederzusehen, auch wenn es die Umstände nicht sind«, sagte ich leise, als die drückende Stille meinen Herzschlag zu übertönen drohte.
Sie seufzte und setzte sich neben mich. Das Bettgestell knarrte. »Was will dein Onkel konkret von mir?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin mir nicht ganz si
cher«, gab ich zu und sah sie ernst an. »Offiziell will er wahrscheinlich jeden möglichen Skandal schon im Keim ersticken, aber inoffiziell will er dich sicher nach deiner genauen Beziehung zu mir ausfragen und deine möglichen Antworten gegen mich und meine Familie verwenden. Wir sind eine etwas … verkorkste Familie.«
Peinlich berührt sah ich auf meine verkrampften Hände hinab. Ich wünschte, sie hätte ihre Finger mit meinen verflochten. Sie tat es nicht.
»Ja, das habe ich auch schon mitbekommen«, murmelte Silver stattdessen. »Aber was macht er, wenn er rausfindet, dass wir gar keine engere Beziehung zueinander haben?«
»Das hofft er wohl, dann wäre es für ihn leichter«, versicherte ich ihr und sah müde auf.
»Was wäre für ihn leichter?«
»Dich zu bestechen, damit du alles Mögliche behauptest. Vor allem … vor der Presse. Eine schmutzige Affäre käme ihm da nur gelegen.«
Scharf sog sie die Luft ein. »Ich bin nicht bestechlich.«
Sie sagte das mit solcher Unerschütterlichkeit, dass ich ihr jedes Wort glaubte.
»Wir sagen ihnen allen einfach, wie es ist. Dass wir nur flüchtige Bekannte sind. Wenn nötig, Freunde. Mehr nicht. Dann ist das Problem doch gelöst, oder nicht?«, schlug sie vor.
»Freunde«, sagte ich langsam und lächelte. »Sind wir das denn? Freunde?«
Sie schluckte, und ihre Wimpern senkten sich, sodass die Schatten sich scharf auf den Wangenknochen abzeichneten. »Wir werden sehen«, wich sie aus, ehe sie den Kopf neigte. »Also?«
Ich kniff mir in die Nasenwurzel. »Wenn du meine ehrliche Meinung hören willst: Sie würden uns nicht glauben. Mein Onkel würde wahrscheinlich dafür sorgen, dass die Gerüchteküche so lang am Brodeln bleibt, bis du entweder auf seinen Vorschlag eingehst und hilfst, uns zu ruinieren, oder bis du das Land verlässt. Ansonsten wärst du eine unbekannte Variable. Vor allem nachdem er nicht wirklich was über dich rausgefunden hat. Die Firma, für die du arbeitest, hält sich offiziell ja bedeckt darüber, in welchem Bereich sie tätig ist, und du bist nur als Angestellte gelistet, ohne nähere Angaben zu deiner Position. Er hat keine Ahnung, wer du bist. Nur eine US-Amerikanerin auf Besuch in Kanada.« Zum ersten Mal lächelte ich ehrlich erfreut.